Hinweis: die angegebenen Abbildungsnummern verweisen auf die entsprechenden Abbildungen im Buch und sind hier nicht einsehbar; die Fußnoten werden am Ende des jeweiligen Kapitels aufgelistet.
1929 - 1937
Ernst Niekisch und die Ideologie des "Widerstands"
Webers Begegnung mit Ernst Niekisch (Anm. 001) (Abb. 119) wirkte außerordentlich befruchtend auf den Künstler, der durch die bald einsetzende Zusammenarbeit in seiner Entwicklung vom Buchillustrator und Gebrauchsgraphiker zum satirischen und kritischen Zeichner gefördert wurde.
Der 1889 in Trebnitz (Schlesien) geborene Niekisch war zunächst als Volksschullehrer tätig gewesen. 1917 wurde er Mitglied der SPD. Zwei Jahre später trat er erstmals politisch im Zusammenhang mit der Münchner Räterepublik in Erscheinung: Man wählte ihn zum Vorsitzenden des revolutionären Zentralrates der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte in Bayern. Nach der Niederschlagung der kommunistischen Räterepublik wurde er wegen Beihilfe zum Hochverrat zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt und aus dem Staatsdienst entfernt. Enttäuscht von der SPD trat er der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei USPD bei und engagierte sich bei den Altsozialisten (ASP). Er leitete deren Organ „Der Volksstaat“. 1924/25 arbeitete er neben seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit im Textilarbeiterverband an der Zeitschrift „Der Firn“ mit, deren Schriftleiter er schließlich wurde. Als „Der Firn“ aus Mangel an Abonnenten sein Erscheinen einstellen mußte, gab Niekisch ab 1926 seine eigene Zeitschrift heraus, die er „Widerstand“ nannte und als „Blätter für sozialistische und nationalrevolutionäre Politik“ bezeichnete.
Im ersten Heft formulierte Niekisch die Ziele: „Deutsche Politik kann, wenn sie einesteils deutsch und andernteils Politik sein will, kein anderes Ziel haben als die Wiedergewinnung deutscher
Unabhängigkeit, die Befreiung von den auferlegten Fesseln, die Zurückeroberung einer großen einflußreichen Weltstellung.“ (Anm. 002)
Mit seiner Widerstands-Ideologie versuchte Niekisch einen Brückenschlag zwischen nationalen Strömungen innerhalb der Arbeiterbewegung und völkischem Denken rechtskonservativer und antidemokratischer Provenienz. „Niekischs nationalrevolutionäre Konzeption einer ‘nationalen Wiedergeburt Deutschlands’ gehört zu den zahlreichen in der Weimarer Republik unternommenen Versuchen, eine Synthese zwischen den beiden im 19. Jh. aufeinandertreffenden und wirkungsmächtigen politischen Ideen des Nationalismus und des Sozialismus herzustellen.“ (Anm. 003) Der Historiker Sebastian Haffner würdigte Niekisch als herausragende politische Persönlichkeit: „So unwahrscheinlich es klingen mag, der wahre Theoretiker der Weltrevolution ... ist nicht Marx, nicht einmal Lenin. Es ist Niekisch.“ (Anm. 004) Damit waren Niekischs radikales Denken und sein Eintreten für eine „nationalrevolutionäre“ Unabhängigkeitsbewegung gemeint, die sich gegen den westlichen Imperialismus richtete und auf eine Wiedererlangung der nationalen Identität Deutschlands zielte, sowie auf eine sozialrevolutionäre Umgestaltung im Innern: Die Arbeiterschaft sollte ihre „nationale Mission“ erkennen, die Vormachtstellung des Bürgers durch eine der Arbeiter und Bauern abgelöst werden, wobei die politische Macht allerdings einer aristokratisch gesinnten Elite vorbehalten bleiben sollte. Hierzu sei, so Niekisch, eine Abkehr von der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsform notwendig. Eine Wirtschaftsreform sollte ein „Obereigentum des Staates an Grund und Boden“ beinhalten, ebenso an allen Bodenschätzen, Betrieben und Unternehmen in Form von Gesellschaften des öffentlichen Rechts, ferner sei die Nationalisierung der Banken, die Einführung des staatlichen Kreditmonopols und ein staatliches Außenhandelsmonopol notwendig. Gleichzeitig sollte ein umfassender Rückzug Deutschlands aus der Weltwirtschaft stattfinden. Der überentwickelte deutsche Produktionsapparat sollte bis zur Grenze dessen, was der innere Bedarf und die Versorgung erfordere, abgebaut werden. Einfuhren aus dem Bereich der Siegerstaaten des 1.Weltkrieges sollten gedrosselt werden. Ein einfacher Lebensstil mit dem Willen zur Armut sollte dem überfeinerten Lebensstil der imperialistischen Westmächte entgegengesetzt werden, verbunden mit einer Absage an das Prinzip des Privateigentums, in dem Niekisch auch die deutschen „Tributverknechtungen“ wurzeln sah. „Man kann nur noch insoweit Eigentümer sein, als man sein Eigentum als Mittel und Werkzeug gebraucht, zu seinem persönlichen Teile an der Befreiung, Selbstbehauptung und Größe seines Volkes mitzuwirken.“ (Anm. 005)
Vorbild für diese Ideen war Niekisch die Sowjetunion, mit der er eine Front gegen den Versailler Vertrag errichten wollte, der Deutschland nach dem 1.Weltkrieg „knechtete“ und in dem Niekisch jene
bürgerliche Weltordnung verkörpert sah, gegen die er Widerstand leisten wollte. Niekisch plädierte unter dem Begriff „Nationalbolschewismus“ für eine Gesellschaftsordnung, die zumindest für eine Übergangszeit, ähnlich wie in Rußland, von „Kriegsverfassung“ und Planwirtschaft geprägt sein sollte.
Er propagierte die „Blickwendung nach Osten und seinen primitiven Werten“ mit einer „Abkehr von allen Gütern, die Europa hochschätzt.“ In seinen Grundsätzen schrieb Niekisch: „Der russische Bolschewismus ist der bislang radikalste Aufstand gegen die Ideen und Einrichtungen des Westens. Rußland ist nicht individualistisch, ist nicht liberal. Es stellt die Politik über die Wirtschaft. Es ist nicht
parlamentarisch, nicht demokratisch und nicht kapitalistisch ...“ (Anm. 006)
Niekisch lehnte die westliche Welt, die er „romanisch“ nannte, da sie sich auf das römische Reich gründete, ab und mit ihr die Demokratie, den Liberalismus und den Kapitalismus. Er erkannte die preußische Staatsidee von Potsdam, die „stets abseits vom eigentlichen Europa“ gestanden habe, als einen Ausdruck des deutschen Protestes gegen diesen Romanismus und bürgerlichen Liberalismus und sah eine enge Verbindung von Germanentum und Slawentum. In der „Idee von Potsdam“ hätten sich „starke Ansätze eines neuen ursprünglichen Herrschaftsgedankens“ herangebildet.
Im Protestantismus Luthers sah er eine deutsche Besonderheit und einen urdeutschen Protest gegen den römischen Katholizismus, welcher der westlichen Welt und ihren Idealen diene. Niekisch berief sich auch auf den trotzigen Widerstand Luthers vor dem Wormser Reichstag und seinen Ausruf: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“
Hinzu kam die Ablehnung des städtischen Lebens zugunsten einer „naturgebundenen Arbeit an der Scholle“ mit der Forderung zur Stadtflucht unter bewußter Inkaufnahme einer „Verödung der Städte“, die er als „Herde ... nationaler Verlumpung“ ansah. Dies sollte einhergehen mit einer „strengen Gewöhnung der Jugend an Unterordnung, Gehorsam, kärgliches Leben, Entbehrungen und alle Arten männlicher Tugenden“ sowie die Pflege der Wehrhaftigkeit. Die städtischen Massen sollten gezwungen sein, sich diesem Lebensstil anzuschließen.
Niekisch schrieb in seinen Lebenserinnerungen: „Der Widerstand richtete sich gegen die Haupttendenz, von welcher die deutsche verantwortliche Politik seit dem Zusammenbruch von 1918 offenkundig
beherrscht wurde: gegen die Bereitschaft, sich Westeuropa einzuordnen.“ (Anm. 007)
So wandte sich der von Niekisch ins Leben gerufene „Widerstandskreis“ konkret vor allem gegen den von den Siegermächten des 1.Weltkriegs diktierten Versailler Vertrag, der den Verlust deutscher
Grenzgebiete von ca. 70.000 km2 vorsah, weiterhin eine militärische Begrenzung, Reparationszahlungen von zunächst 223 Milliarden Goldmark, zusätzlich 26% vom Wert der deutschen Ausfuhr sowie
Sachleistungen, u.a. drei Viertel der jährlichen Förderung an Zink- und Eisenerz.
Aus der Ideologie Niekischs ergab sich auch eine Kritik an Hitlers demokratischem Taktieren Ende der 20er Jahre. Dies sollte Niekisch in der Zeit des Nationalsozialismus zum Verhängnis werden. Bei seiner Verurteilung 1939 zu lebenslangem Zuchthaus wegen Hochverrats hieß es in der Urteilsbegründung: „Das Ziel der politischen Bestrebungen Niekischs bildete die Erringung der ‘deutschen Freiheit’. Das der Erringung dieses Zieles hauptsächlich entgegenstehende Hindernis sah er in dem Versailler Diktat und dem hinter ihm stehenden, das Abendland und seine Kultur beherrschenden Weltkapitalismus. Gegen sie forderte er den rücksichtslosesten, alle irgendwie verfügbaren Mittel ausnutzenden Kampf. Nach seiner Auffassung war deshalb eine unbedingte Frontstellung gegen den ‘romanisch-katholischen Geist’, d.h. gegen die ‘Westmächte’ in weitestem Sinne und ihre politischen, wirtschaftlichen und weltanschaulichen Grundsätze notwendig und die enge Anlehnung an Sowjetrußland das Erfordernis der deutschen Politik.
Beeinflußt war Niekisch durch Spenglers ‘Untergang des Abendlandes’. In wirtschaftlicher und sozialer Beziehung sah er das ‘romanische und undeutsche Prinzip’ des Privateigentums als den ‘festesten
Riegel, der dem deutschen Volk den Ausweg aus der Knechtschaft versperrt’. Dabei ging er davon aus, daß Deutschland durch die ‘Zone des Bolschewismus’ hindurchgehen müsse und daß nur im Zuge der Weltrevolution die Weltsendung des deutschen Volkes: nämlich die Beseitigung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vormachtstellung des abendländischen Kapitalismus und die Schaffung eines ‘Friedensstaates’ unter Führung der Widerstandsbewegung erfüllt werden könne ... Seit Karl dem Großen habe sich das Germanentum zu seinem Unglück dem römischen Herrschaftsgedanken untergeordnet. Nur die preußische ‘Idee von Potsdam’ habe Ansätze eines neuen ursprünglichen Herrschaftsgedankens herausgebildet, der im Gegensatz zum abendländischen Geist gestanden habe und auf den Osten gerichtet gewesen sei.“ (Anm. 008)
Viele Ideen des „Widerstandskreises“ waren bereits in der Jugendbewegung vorhanden gewesen. Ein Teilnehmer an einem Widerstands-Treffen auf Burg Lauenstein vom 3. - 5.10.1930, an der auch Weber teilgenommen hatte, berichtete: „Das Bild der Tagung war interessant und vielsagend. In dem Einladungsschreiben war als Kleidung Kluft oder Wanderanzug gewünscht worden. Doch es überwogen bei weitem die Kragen und Kravatten, ein studentischer Kongress oder die Tagung einer Rechtspartei hätte kaum anders wirken können. Nicht, als ob wir diese Dinge besonders wichtig nähmen -- immerhin sind auch Äusserlichkeiten Symbol innerer Tatsachen. ... Blickwendung nach Osten, Abkehr von westlicher Zivilisation, Sehnsucht nach der Scholle, Flucht vor der Stadt und ihrem Betrieb: dies alles, was hier als Forderung erkannt und aufgestellt wird, ist von der deutschen Jugendbewegung in revolutionärer Unbedingtheit schon vor Jahren intuitiv gespürt, errungen und gelebt worden. Die Jugendbewegung ist nichts anderes als ein Protest gegen alles „Westliche“, der erste Gegenstoss gegen Youngversklavung, noch ehe diese von den Politikern überhaupt recht erkannt wurde.“ (Anm. 009)
Die Treffen des „Widerstandskreises“ fanden oft an Orten statt, die auch von der Jugendbewegung geschätzt wurden, so 1930 auf der Burg Lauenstein, 1931 auf der Leuchtenburg, 1932 auf der Schwarzburg in Thüringen sowie in Hamburg. 1933 traf man sich in Nürnberg, einem Zentrum des „Bundes Oberland“ und Heimat Joseph Drexels, 1934 an Webers Wohnort, dem Brümmerhof in der Lüneburger Heide, 1935 in Krefeld und 1936 in Goslar, dem Wohnort von Ernst Jünger. Weber nahm an den meisten Tagungen teil.
Niekischs Widerstands-Ideologie war antidemokratisch und nationalistisch, antikapitalistisch, antiwestlich und trug sogar rassistische und faschistische Züge. Unter den komplexen Gedanken des
„Widerstandskreises“ hat Weber, der wie viele das Diktat des Versailler Vertrages mit der militärischen, wirtschaftlichen und politischen Unterdrückung Deutschlands und der Abtrennung von Gebieten des ehemaligen deutschen Reichsgebietes als Demütigung empfand, vor allem die nationale Komponente und die Betonung des Germanischen, Urtümlichen, Natürlichen, Ländlichen, Antitechnischen angesprochen. Für den oft in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Künstler muß auch die Ächtung des Großkapitalismus leicht nachvollziehbar gewesen sein. Aus dem „Wandervogel“ brachte Weber zudem eine Abneigung gegen alles Spießbürgerliche mit. Allerdings wurde er innerhalb des Kreises als eher unpolitisch charakterisiert. Seine Briefe bestätigen eine solche Einschätzung. Fast nie äußerte er sich darin zu politischen Themen. So berichtete er beispielsweise in einem Brief vom 15.5.1934 an Georg Grote von einem Treffen mit dem russischen Botschaftssekretär. Anstatt sich aber über bolschewistische Ideen des „Widerstandskreises“ zu verbreiten, schrieb Weber nur lapidar: „In Berlin machte ich die Bekanntschaft des russ. Botschaftssekretärs - und war schon einmal zum Tee geladen - so etwas ist mal ganz nett und Wodka mit Kaviarsemmel sind gewiß nicht das letzte und beste, was ich dabei genoß.“
Webers Verhältnis zu Niekisch war von Anfang an nicht ohne Distanz, selbst wenn dieser in seinen Lebenserinnerungen dies anders sah. Weber schrieb am 15.5.1934 an Georg Grote: „Vielleicht spürt er [Niekisch] - daß ich ihn für einen Windmacher halte - persönlich macht er eben keinen besonderen Eindruck auf mich - ebenso wenig wie seine Frau - die mich im Verlag führte.“
Mit seinen Publikationen in der Zeitschrift „Widerstand“ sprach Niekisch einen Kreis Gleichgesinnter an, die er um sich scharte und die zu einer unorganisierten Gemeinschaft höchst unterschiedlicher Menschen wurde. Sowohl unter den Mitgliedern wie unter den Mitarbeitern und Autoren und auch bei den Lesern fanden sich überwiegend Angehörige akademischer Berufe - Arbeiter und Bauern sucht man vergeblich.
Reck-Malleczewen erinnerte sich 1943 an Niekisch und seine Gefolgschaft: „ 1930 ... war aus dem U.S.P. - Abgeordneten ein Mann geworden, der ... einen kleinen, aber fanatisch ihm ergebenen Kreis von ehemaligen, höchst rabiaten Kriegsleutnants, von Freikorpsleuten und verhungerten Studenten hinter sich hatte, als journalistischer Affigio des russophilen Generalstabsteiles eine ganz ausnehmend klug geleitete Zeitschrift herausgab und dabei sich tödlich mit der vor Russenhaß ja nachgerade berstenden Hitlerei überwarf. Zweimal habe ich als Gast seine ‘Tagungen’ mitgemacht, die hinter den verrammelten Toren der alten Leuchtenburg oder im Zeltlager mitten in den Schlünden des Thüringer Waldes bei frugaler Feldküchenkost, morgendlichem Geländesport und abendlichen, sehr klugen Vorträgen, die heterogenste Gesellschaft versammelten, die mir je begegnet ist: neben den erwähnten Landsknechten Spitzel von rechts und von links, neben bettelarmen Studenten und Gymnasiasten, die in mühevoller Wanderung durchs ganze Reich ihre Zelte hierher geschleppt hatten, zweifelhafte Überreste der Roßbachleute (Anm. 010), die hier auf Tribadenabenteuer pirschten. Sonst noch: stigmatisierte Divisionspfarrer a.D., alte Generale und verkappte Reichswehroffiziere, politische Rastas und sogar einige SA-Leute von jenem Oppositionsflügel, der zwei Jahre später im Röhmputsch sich verblutete.Er selbst, ein kugelrunder Mann von hypokritischem Scharfblick und kurzsichtigen, etwas tschekistisch in die Welt schauenden Augen, war natürlich alles andere denn ein ‘Hochverräter’. Sein Schicksal erwuchs ihm aus der beißenden Ironie und dem wütenden Haß, mit dem er die Nazis und Hitler selbst verfolgte ...“ (Anm. 011)
Ab 1927 unternahm Niekisch Versuche, mit vaterländischen Verbänden wie dem „Bund Oberland“, dem „Jungdeutschen Orden“, „Stahlhelm“ und „Wehrwolf“ in nähere politische Verbindung zu kommen, sie zu einer gemeinsamen Front gegen die Politik der Republik zusammenzuschließen und diese national eingestellten Organisationen mit den Gedanken des „Widerstandskreises“ „zu durchsäuern“. Daß er den „Widerstandskreis“ nicht als Partei begriff, zeigen seine konkreten Vorstellungen über dessen Größe: Am 20.8.1929 schrieb Niekisch an Joseph Drexel, er „würde einen großen Erfolg darin sehen, wenn wir wirklich 300 ganz zuverlässige Menschen zusammenbrächten. Falls sie in alle Kreise und Zirkel und Bünde und Parteien hineinreichen: dann läßt sich viel damit ausrichten. Man muß von innen her zu einer gewissen Einflußnahme auf die Direktion der großen Organisationen kommen.“
1931/32 zählte der „Widerstandskreis“ mehr als 4.000 Mitglieder. Die Gliederung war streng hierarchisch und entsprach den Vorstellungen Niekischs von einer männerbündischen Ordnung. Auf unterster Ebene bildete sich 1931 ein „Bund der Freunde der Widerstandsbewegung“, zu dem auch Frauen zugelassen waren.
Der Widerstands-Verlag
Im Dezember 1927 gründete Niekisch einen eigenen „Widerstands-Verlag“, der 1929 von Dresden nach Berlin verlegt wurde. Als Inhaberin trat offiziell seine Frau, Anna Niekisch, auf. Niekisch berichtete in seinen Lebenserinnerungen: „Man wird kaum leugnen können, daß der Widerstandsverlag während der Hitlerzeit eine wichtige Funktion erfüllte. Inmitten des Zwanges und der Greuel einer terroristischen Diktatur war der Verlag, bis zu seiner Zerstörung im Jahre 1937, eine Plattform, auf welcher der Geist noch unerschrocken die Sache der Freiheit des Denkens und der Kritik verfocht.“ (Anm. 012)
Der Verlag gab die Monatszeitschrift „Widerstand“, später zusätzlich die großformatige Wochenzeitung „Entscheidung“ heraus, sowie zahlreiche Bücher, darunter Werke von Otto Petras und Friedrich Georg Jünger. Säulen des Verlagsprogrammes waren die Werke von Niekisch selbst: „Politik und Idee“ (1929), „Die Aktion der Jugend“ (1929) und „Gedanken über deutsche Politik“ (1929). Letzteres wurde als „Bibel der nationalen Opposition“ angekündigt (vgl. Abb. 118). Weiterhin „Entscheidung“ (1930) und „Politik des deutschen Widerstandes“ (1931), worin er die Ziele des „Widerstandskreises“ zusammenfaßte, sowie die Kampfschrift „Hitler - ein deutsches Verhängnis“ (1932), „Im Dickicht der Pakte“ (1935) und „Die dritte imperiale Figur“ (1935).
Dem Gebrauchsgraphiker Weber oblag es, die Publikationen des Widerstands-Verlages zu illustrieren oder buchkünstlerisch zu gestalten. Niekisch berichtete: „Für den Widerstandsverlag brauchte ich einen Hersteller. Mir lag daran, einen Graphiker zu finden, der mit gutem Geschmack meinen Verlagserscheinungen ein ansprechendes und gewinnendes Gesicht gäbe. Von irgendeiner Seite wurde ich auf A. Paul Weber aufmerksam gemacht. Er war mir aufgefallen durch eine Zeichnung im ‘Vormarsch’, die sich ironisch gegen den ‘Stahlhelm’ wandte. Um einen Tisch saßen gemütliche Spießer mit den Stahlhelmemblemen, und die Unterschrift war das Zitat aus einer Rede, die Seldte gehalten hatte: ‘Wir sind kein Bund aufgeregter junger Männer.’ In Zeitschriften von Jugendbünden konnte man den Arbeiten Webers des öfteren begegnen. Für den Berliner Verlag G. Grote hatte er Bücher illustriert und Bucheinbände entworfen. ... Ich setzte mich mit Weber in Verbindung, und er sagte zu, am Verlag mitzuarbeiten. Weber war ein großer, schlanker Mann mit langem, schmalem Kopf, ganz schwarzen Haaren und schwarzem Kinnbart. Er hatte ein exotisches Aussehen, man konnte ihn für einen Araber halten. Seine Schädelbildung erinnerte an ein Pferd. Nichts von Intellektualität war in ihm, man empfand ihn gleich als das Instinktwesen, das er in der Tat war. Als er einmal eine Nacht zusammen mit den beiden Jünger, mit [Franz] Schauwecker und [Friedrich] Hielscher verbracht hatte, rief Hielscher aus: ‘Sie sind ja ein wahrer Waldschrat!’ In dieser Charakterisierung lag etwas Richtiges; das Elementare an Weber war unverkennbar; wenn etwas zu wünschen übrigblieb, war es lediglich das Ausmaß, die Fülle dieser Elementarität.
Es kam zwischen uns bald ein Kontakt zustande; Weber legte mir eine Reihe von Arbeiten vor, an denen ich Gefallen fand. Ich bat ihn, mir einige Entwürfe für die Verlagsprojekte auszuarbeiten, so den Bucheinband zu Rankes ‘Zwölf Büchern Preußischer Geschichte’ (Anm. 013) und denjenigen zu meinen ‘Gedanken über deutsche Politik’. Er sollte auch ein Verlagssignet ausarbeiten.“ (Anm. 014)
„Bund Oberland“
Eine wesentliche Verstärkung des „Widerstandskreises“ stellte 1930 der geschlossene Übertritt der „Oberlandkameradschaft“ dar. Es war die vor allem aus Franken stammende Gruppe von Nationalrevolutionären des „Bundes Oberland“ (Anm. 015). Einem Aufruf der Regierung des Freistaates Bayern folgend, hatte sich im April 1919 in Eichstätt das „Freikorps Oberland“ gebildet, um die Münchner Räteherrschaft zu bekämpfen. Da es sich bei diesem Freikorps überwiegend um Soldaten handelte, die während des 1.Weltkrieges im deutschen Alpenkorps gekämpft hatten, wählte man als Erkennungszeichen das Edelweiß an der Mütze. Bereits 1920 im Ruhrgebiet eingesetzt, erlangte das „Freikorps Oberland“ 1921 bei der Erstürmung des Annabergs in Oberschlesien gegen polnische Vereinnahmungsbestrebungen eine gewisse Popularität. Aufgrund des Drucks der Entente-Mächte wurden die „Selbstschutztruppen“ aufgelöst. Das „Freikorps Oberland“ wandelte sich am 31.10.1921 zum „Bund Oberland“, der sich 1923 beim Ruhreinfall der Franzosen am dortigen Abwehrkampf beteiligte. Aus Enttäuschung über den Zusammenbruch des passiven deutschen Widerstands schloß sich der „Bund Oberland“ den Nationalsozialisten an, die am aggressivsten gegen die Politik der Weimarer Republik auftraten.
„Auf eine besonders große Mitgliederzahl hatte [„Bund Oberland“] nie Wert gelegt, nun wurde er eine ausgesprochene Kern- und Führergemeinschaft, die sich von allen Äußerlichkeiten fernhielt und das Gewicht auf die Schulung des einzelnen Anhängers legte. Drei Ziele steckte sich Oberland: einmal die äußere Befreiung Deutschlands, die Brechung des Versailler Vertrages; zweitens das einheitliche Reich aller Deutschen, die Schaffung von Großdeutschland; drittens den Aufbau des „Dritten Reiches“, in dem kraftvolle Führung nach außen und innen („gegen die Macht der Wirtschaftsgruppen“) eine wirkliche Verantwortung und Erziehung aller Deutschen ermöglichen soll.“ (Anm. 016) Charakteristisch für den bündischen Geist der Oberländer war die mystische Idee vom „Dritten Reich“, die sich auch im Titel ihrer Bundeszeitschrift „Das Dritte Reich“ widerspiegelte und wie ein Echo auf Moeller van den Brucks vieldiskutierte Schrift (Anm. 017) vom Idealstaat - nach der Wende vom Liberalismus zum neuen deutschen Nationalismus und Konservativismus - wirkte. So wie der schlafende Kaiser Barbarossa im Kyffhäuser war auch „das Reich“ ein Mythos, der als wieder erweckbar galt. Translatio imperii - das Reich sollte letztlich Fortsetzung und Erfüllung des untergegangenen „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“ sein, das im Mittelalter auch eine höhere Würde für sich beansprucht hatte als die Königreiche der anderen Nationen. „Es war die Antwort rechter Intellektueller auf Weimar und beide Versailles: das des Friedensvertrags von 1919 und das der Reichsgründung von 1871. „Das Reich“ war aus ihrer Sicht etwas Höheres als die Republik; es war aber auch mehr als ein Staat unter Staaten.“ (Anm. 018)
Freikorps und „Bund Oberland“ hatten bis 1929 nur zwei Bundesführer: bis 1922 Josef Römer (Anm. 019) und anschließend Friedrich Weber (Anm. 020). Seit Mitte der 20er Jahre hatten sich, vor allem bei den Bundestagungen auf Burg Hoheneck (Anm. 021) in Mittelfranken, widersprüchliche Tendenzen zwischen einer mehr nationalistischen und einer eher sozialistischen Orientierung entwickelt.
„Vor allem der um die Oberland-Zeitschrift ‘Das Dritte Reich’ gruppierte Kreis mit Gustav Sondermann, Dr. Joseph Drexel (Anm. 022) und Karl Tröger (Anm. 023) näherte sich in der Betonung der sozialen Frage und einer außenpolitischen Ostorientierung immer stärker Niekischs Vorstellungen ... Ernst Niekisch selbst wurde Ostern 1928, nachdem er bereits mehrmals vor einzelnen Oberländergruppen gesprochen hatte, zu einer Tagung des Bundes auf Burg Hoheneck bei Neustadt an der Aisch eingeladen.“ (Anm. 024) Nach dem Rücktritt Friedrich Webers und der denkbar knappen Wahl des österreichischen Heimwehrführers Fürst Ernst Rüdiger Starhemberg zum Bundesführer traten zahlreiche deutsche Gruppen aus dem „Bund Oberland“ aus. Die Oberland-Zeitschrift „Das Dritte Reich“, die bereits seit Jahren textidentisch mit der Zeitschrift „Widerstand“ erschienen war, stellte im Frühjahr 1931 ihr Erscheinen ein. „Während ein Teil der ausgetretenen Mitglieder bald zur NSDAP übertrat, organisierten Tröger und Drexel um den 1. Februar 1931 in Nürnberg eine Versammlung der Vertreter der restlichen abgespaltenen Oberlandgruppen, die sich hier zu regional selbständigen ‘Oberlandkameradschaften’ zusammenschlossen. Niekisch hielt bei diesem Treffen das Einleitungsreferat über ‘die Politik deutschen Widerstands’. ... Im ‘Widerstand’ vom März 1931 wurde über diese Tagung als Oberlands endgültigem ‘Vormarsch an die Widerstandsfront’ berichtet und die dort beschlossenen Richtlinien abgedruckt.“ (Anm. 025)
„Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten setzte die Nürnberger (Oberland/Widerstands-)Gruppe ihre regelmäßigen Zusammenkünfte fort, wobei die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus immer stärker in den Mittelpunkt rückte. Getarnt als unpolitische Gesprächsrunde, als Stammtisch oder als Rundfunkbastelkurs bemühten sich die Gruppenmitglieder, unzensierte Informationen zu beschaffen und auszutauschen, ließen verbotene antifaschistische Literatur unter Gesinnungsfreunden zirkulieren und stellten Kontakte her zu Persönlichkeiten, die an wichtiger Stelle in Staat und Gesellschaft tätig waren und in Distanz zum Dritten Reich standen.“ (Anm. 026)
Die Zeitschrift „Widerstand“
Schon im Juli 1926 gab Niekisch im Selbstverlag erstmals die Monatszeitschrift „Widerstand“ (Anm. 027) heraus. Sie galt als die kämpferischste und anspruchsvollste politische Zeitschrift dieser Zeit.
Niekisch veröffentlichte darin über 180 Aufsätze. Mitherausgeber wurden zunächst Benedikt Obermayer und Otto Jacobsen, 1928 bis 1929 August Winnig. Ab Januar 1930 zeichnete fünf Jahre lang - bis zum Verbot durch die Nationalsozialisten - A. Paul Weber als Mitherausgeber verantwortlich, der fortan in gleicher Schriftgröße wie Niekisch auf dem inneren Titelblatt jedes Heftes genannt wurde. Weber war für die Herstellung der Zeitschrift mit seiner drucktechnischen Erfahrung unentbehrlich - eine Gleichberechtigung mit Niekisch hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung gab es jedoch nicht. In einem Verlagsprospekt von 1930 wurden als ständige Mitarbeiter „Joseph Drexel, A. Erich Günther, Ernst Jünger, G. Friedrich Jünger, Hjalmar Kutzleb, Ernst Niekisch, Gustav Sondermann, Dr. Friedrich Weber, Kunstmaler A. Paul Weber, August Winnig u.a.“ genannt, weitere Autoren waren Hans Bäcker, Hugo Fischer, Otto Petras, Friedrich Reck-Melleczewen, Otto Nickel, und Alexander Mitscherlich. Die Weber beigegebene Berufsbezeichnung „Kunstmaler“ weist daraufhin, daß er in diesem politischen und intellektuell geschliffenen Kreis bei aller Wertschätzung, die ihm entgegengebracht wurde, in seiner Art wohl stets ein Außenseiter blieb und zum Widerstands-Verlag in einer Art festem Arbeitsverhältnis stand.
Das erste Heft „Widerstand“ von 1926 war nur acht Seiten stark gewesen, hatte 15 Pfennige gekostet und nicht einmal ein Deckblatt besessen. Mit dem Entwurf eines neuen Umschlages für das Juli/August-Heft 1928 begann Webers Tätigkeit für den Widerstands-Verlag. Sein Wirken sollte der Zeitschrift ein ansprechendes Äußeres geben, wodurch entsprechende Aufmerksamkeit bei den Lesern erzielt werden sollte. Diese Rechnung ging auf - da eine derartige künstlerische Ausstattung für eine solche Zeitschrift ungewöhnlich war, fand sie nicht zuletzt deshalb Beachtung. Der Verleger Niekisch brauchte dringend die organisatorischen und technischen Kenntnisse Webers über eine qualitätvolle Herstellung von Publikationen. Günstig waren die früheren Kontakte des Künstlers zur Buchdruckerei Oscar Brandstetter in Leipzig, die er ab 1929 für den Druck von Büchern und Broschüren des Widerstands-Verlages vermittelte; ab Juli 1929 wurde dort auch die Zeitschrift „Widerstand“ gedruckt. Weber entwarf ein Verlags-Signet, das in einem Oval drei nach rechts weisende Spitzen zeigte. Dies ähnelte der Kennzeichnung von Front- und Angriffslinien in der Kartographie von Schlachtfeldern. Im rechten Winkel gedreht bildete die Gestaltung darüberhinaus ein „W“ für „Widerstand“.Für den Jahrgang 1929 steigerte Weber noch die Wirksamkeit des Umschlags: Das Signet stand nun groß und bildbeherrschend unter dem Titelschriftzug (Abb. 120). Die „drei Zacken könnten als Anspielung auf die ‘Deutsche Revolution’ in ihrer dreifachen Stoßrichtung verstanden werden: Sozialistisch im Wirtschaftlichen, nationalistisch im Staatlichen, völkisch im Kulturellen.“ (Anm. 028) Von nun an trug das ca. 30seitige Heft den Untertitel: „Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik“ und kostete 50 Pfennige. (Anm. 029)
Niekisch schrieb: „Wir vereinbarten, er solle monatlich für den ‘Widerstand’ eine politisch-satirische Zeichnung beisteuern. Ich mußte, so wurde ausgemacht, ihm jeweils das Motiv angeben; er wollte es dann ins Bildhafte übersetzen. Die ersten Zeichnungen von ihm waren primitiv und kindlich; allmählich entwickelte er seinen besonderen Stil.“ (Anm. 030) Trotz der Vorgabe der Motive gingen Webers Zeichnungen über bloße Illustrationen des Textes hinaus. Sie verfügten über eine eigene Sprache und eröffneten zusätzliche, meist vom Text weitgehend unabhängige Vorstellungen. Der Sinn der Bildbeiträge erschloß sich auch ohne Lektüre des jeweiligen Textes. Über 120 Zeichnungen Webers erschienen in den Jahren 1929 bis 1934 im „Widerstand“.
Ein Verlagsprospekt von 1930 widmete dem Künstler eine ganze Seite und zitierte dabei Wilhelm Stapel, der im „Deutschen Volkstum“ geschrieben hatte: „Es darf unterstrichen werden, daß der Nationalismus der jungen Generation sich durch A. Paul Weber auch der karikaturistischen Waffe bemächtigt hat und daß die Anfänge stark, rücksichtslos und wohlgeschult sind. ... Durch Ernst Niekisch wurde der eigentlich unpolitische Künstler in jenen Kreis politischer Aktivität hineingezogen, den man den ‘neuen Nationalismus’ nennt. Er zeichnete für die Zeitschrift ’Widerstand’ regelmäßig Satiren aus unmittelbaren politischen Anlässen ... Er erscheint eher langsam, überlegend, zurückhaltend; erst wenn er ‘warm’ wird, dringt die ‘Lebendigkeit’ hervor. ... So scheinen die Arbeiten immerhin rasch hingeworfen. Aber auch dem ist nicht so. Den kleinen Zeichnungen ... sind eine Menge von Bleistiftentwürfen vorangegangen ... Erst durch viele Probleme tastet sich Weber zu dem Bild hindurch, das ihm gleichsam evident erscheint. ... Ähnlich wie bei dem großen Daumier entstehen seine Karikaturen oft in Zusammenarbeit mit einem Freunde, es ist vor allem Niekisch, mit dem er die Bildideen durchspricht.“ (Anm. 031)
Niekisch schrieb dazu in seinen Lebenserinnerungen: „Inzwischen freilich hatte sich manches geändert. Aus unseren ursprünglich rein geschäftlichen Beziehungen war eine herzliche Freundschaft geworden. Ich stand ihm mit warmen Gefühlen gegenüber und nahm aufrichtigen Anteil an seinem Schicksal. Jeden Monat, wenn die Zeichnung für den ’Widerstand’ fällig war, kam er zu mir, zuerst nach Dresden, später nach Berlin. Er entwarf ein neues Gewand für den ‘Widerstand’, wurde in allen Dingen mein Vertrauter und trat mir zuletzt als Mitherausgeber des ‘Widerstand’ zur Seite. ... Durch seine Widerstandszeichnungen wurde er bekannt, und umgekehrt wandten sich viele Leute dem Widerstandsverlag zu, weil ihnen Weber etwas zu sagen hatte.“ (Anm. 032)
Webers Zeichnungen waren anfangs in einem kargen, linearen Stil gehalten. Er lehnte sich damit wohl bewußt an den Zeichner Olaf Gulbransson an, der u.a. durch seine Bilder in der satirischen Zeitschrift „Simplicissimus“ bekannt war. Meist zeichnete Weber pro Heft eine ganzseitige Abbildung, manchmal kamen kleine Streubilder im Text hinzu.
Eine der ersten, ganz im eigenen Stil gehaltenen Zeichnungen trägt den Titel „58 Jahre Youngplan“ (Anm. 033) (Abb. 121) und ist mit einem Zitat von Gustav Stresemann aus dem „Vormarsch“ von 1929 untertitelt: „Die Hauptsache ist, daß die Staatsmänner sich durch dieses Gebell nicht nervös machen lassen.“ (Anm. 034) Das Blatt kehrte das Zitat satirisch ins Gegenteil. Weber zeichnete Stresemann, den Außenminister der Weimarer Republik, als Erfüllungspolitiker des „Versailler Diktat-Friedens“. Hinter ihm ragt ein riesiges Kindergerippe auf, das an eine Eisenkugel gekettet ist. Stresemann legte die Grundlagen für eine Politik des Verhandelns mit den Siegermächten des 1.Weltkrieges. Er beriet mit ihnen 1929 über den Young-Plan, der Reparationszahlungen Deutschlands in Höhe von 34,5 Milliarden Reichsmark bis 1988 (58 Jahre) vorsah und somit - wie nicht nur Niekisch meinte - die Enkelgeneration zum Hungertod verurteilte. Niekisch schrieb wenig später in einem Artikel im „Widerstand“: „ ... für das Zugeständnis einer um fünf Jahre verkürzten militärischen Räumung [des Rheinlandes] überantwortete er unsere Kinder und Kindeskinder der schrecklichen Finanzsklaverei.“ (Anm. 035) Das Bild Webers beschrieb die Situation eindrucksvoller als ein Text dies vermocht hätte. (Anm. 036) Niekisch war klug genug, zu wissen, daß das Bild oft eine viel stärkere Aussagekraft zu entfalten vermag, als das Wort und damit weit über eine bloße Illustration oder gar Dekoration hinausgeht. Er führte diesbezüglich aus: „Weil der Künstler durch seine Werke das Wesen der Wirklichkeit einfach ausspricht, entschleiert er und übt dadurch eine gesellschaftliche Funktion aus ... Indem der Künstler seine enthüllende Aussage macht, wirft er Funken der Revolution in die Herzen. Am Kunstwerk solcher Art entzünden sich die Kräfte des Widerstandes gegen die bedrückende Wirklichkeit. Die Menschen, denen es im Angesicht des Kunstwerkes wie Schuppen von den Augen fällt, fangen an, sich gegen das Böse zu wehren. Das Kunstwerk wird zum Born, aus dem Kräfte des Widerstandes geschöpft werden. In all seiner Schweigsamkeit wird das Kunstwerk so zu einer Macht des Widerstandes.“ (Anm. 037)
Die mit Niekisch abgestimmten Motive setzten die Ziele und Gedanken des „Widerstandskreises“ ins Bildhafte um: „Deutsche Selbstentmannung“ (Anm. 038) (Abb. 122) von 1930 war auch als separater Druck des Widerstands-Verlages erhältlich. Weber fertigte sogar eine lithographische Fassung davon an. Der Deutsche sitzt auf einem phallisch aufgerichteten Kanonenrohr und demontiert es. Nach Niekischs Meinung brächte die Erfüllung des Young-Planes Deutschland um die Möglichkeit, sich gegen den Westen militärisch zur Wehr zu setzen.
Das Motiv „Die Totengräber“ (Anm. 039) (Abb. 123) aus dem gleichen Jahr trägt den Untertitel: „Nein, es ist Luther, der den Krieg verloren hat.“ Für Niekisch war Luther der „Heilige der preußischen Staatsschöpfung“. Mit deren Untergang im 1.Weltkrieg habe das Begräbnis Luthers durch den Katholizismus der Zentrumspartei begonnen: Die Käfer, die mit der Zersetzung der Leiche beschäftigt sind, tragen Jesuitenhüte - eine damals allgemein verständliche Metapher für die Zentrumspartei.
In diese Zeit fällt ein ebenso bedeutendes wie merkwürdiges Zwischenspiel: Obwohl Weber bereits begonnen hatte, sich durch die Arbeit für den Widerstands-Verlag kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, versuchte man, den begabten Graphiker für den Nationalsozialismus zu gewinnen. Im September 1930 korrespondierte Weber mit Prof. Dr. Paul Schultze-Naumburg (Anm. 040), dem Direktor der Staatlichen Kunsthochschulen in Weimar. Dieser hatte mit Hitler gesprochen und versucht, ihn für Webers Arbeiten zu interessieren. Dieser sagte später in einer Vernehmung durch die Gestapo - in der Hoffnung, daß ihm dies nützlich sei - aus: „Es war geplant, daß ich die künstlerische Leitung des Franz Eher Verlages übernehmen und einen Teil der Illustrationen zu der damals neu gegründeten satyrischen Parteizeitschrift ‘Die Brennessel’ liefern sollte. Parallel damit war selbstverständlich meine Aufnahme in die NSDAP geplant.“ (Anm. 041) Sogar eine Professur an den Staatlichen Kunsthochschulen in Weimar wurde ihm in Aussicht gestellt. „Das Projekt scheiterte daran, daß ich eines Tages die von mir eingereichten Zeichnungen von der Schriftleitung der ‘Brennessel’ mit einem Anschreiben zurückerhielt, aus dem ich entnehmen mußte, daß die dort bereits tätigen Künstler meiner Mitarbeit ablehnend gegenüberstanden.“ (Anm. 042) So ging an Weber diese „Karriere-Chance“ wie auch die Unausweichlichkeit einer Mitgliedschaft in der NSDAP vorüber.
„Des deutschen Volkes Weg“ (Anm. 043) (Abb. 124) von 1931 zeigte einen erblindeten Weltkriegsveteranen, der stellvertretend für das deutsche Volk dem Abgrund entgegengeht. Niekisch erörterte in dem zugehörigen Artikel den Verfall des von Bismarck geschaffenen Staatengebildes und damit den von den Parteien der Weimarer Republik beschrittenen „deutschen Weg“..
Erich Sperling schrieb in jenem Jahr über Webers Kunst: „Freilich kann er nur einer Sache dienen, für die sein eigenes Herz heiß und hart schlägt! So ist eigentlich sein Arbeitsgebiet von vornherein eng umgrenzt: Deutschland, das seiende wie das künftige! Es gibt keinen Künstler in Deutschland, der, von dieser Seite gesehen, so sehr wie Weber als Gestalter des Willens deutscher Jugend angesehen werden kann ... So hat der Künstler besonders auch politische Zeichnungen für die Zeitschrift ‘Der Widerstand’ Ernst Niekischs geschaffen, die von einer geistigen Schärfe und Meisterschaft der Zeichnung sind, wie wir sie in der politischen Zeichnung der Gegenwart nur noch bei George Grosz und Otto Dix finden.“ (Anm. 044)
Gegen Spießbürgerlichkeit und Kapitalismus wandte sich das Blatt „Der deutsche Abendländer bringt seine heiligsten Güter in Sicherheit“ (Anm. 045) (Abb. 125): Der dicke Bürger mit Brille, Hut und Frack sowie Regenschirm und Reservisten-Pfeife - Attribute bürgerlicher Beschaulichkeit - hat seinen Besitz zusammengepackt und schwenkt in der ebenso naiven wie trügerischen Hoffnung auf Sicherheit die weiße Fahne Richtung Westen, wo französische Soldaten lauern. Er steht für die um Aussöhnung mit dem Westen bemühten deutschen „Erfüllungspolitiker“.
„Grauen vor dem Osten“ (Anm. 046) (Abb. 126) von 1932 spielte auf die Angst des deutschen Bürgers vor dem Bolschewismus an: Der Esel mit der Zipfelmütze des „deutschen Michel“ steht über dem umgeworfenen Grenzpfahl und blickt voller Angst nach Osten. Daß ihn die französischen Bajonette aus dem Westen dabei schon fast aufspießen, will er nicht bemerken. Ein thematisch ähnliches Blatt, betitelt „Das Grauen“, (Anm. 047) zeigt nur ein Pferd, das angsterfüllt nach links, Richtung Westen, blickt. Weber schrieb am 12.7.1934 an Walther Obermiller: „Das Grauen lege ich Ihnen auch mit bei - ich möchte diese Arbeit mit 200 Mark verkaufen - das ist mir die Arbeit wert - und wenn Sie mir das Original wieder zustellen - weil Sie dafür den Betrag nicht übrig haben - so werde ich mich einerseits freuen - weil die Bindung zu meinen letzten Arbeiten immer noch eine starke ist.“
„Die Begegnung“ (Anm. 048) (Abb. 127) spielt sich zwischen Hitler und dem Reichspräsidenten Hindenburg ab. Hitler wurde am 13.8.1932 nach der Reichstagswahl, in der die NSDAP stärkste Fraktion wurde, vorstellig, um das Amt des Reichskanzlers einzufordern. Weber machte aus ihm eine lächerliche Figur: Hereingeschwemmt von Stimmzetteln, die albern wirkende Propagandamaschinerie im Rücken, steht der Gefreite stramm vor dem ehemaligen Generalfeldmarschall, der ihm mit eisiger Miene entgegentritt.
Zu einem 1933 erschienenen Artikel von Niekisch „Der Zerfall“ entstand die Zeichnung „Das Ende vom Lied: Der Sumpf“ (Anm. 049) (Abb. 128). Obgleich es für spätere Betrachter so aussehen mag, als ob sich die zum Hitlergruß ausgestreckten Arme aus dem Sumpf erheben, um an die Macht zu gelangen, ist das Motiv zunächst im Sinne Niekischs so zu verstehen, daß die nationalsozialistische Bewegung durch ihre Hinwendung zum Kapitalismus und Parlamentarismus allmählich im „bürgerlichen Sumpf“ versinkt.
Eine Zeichnung aus dem gleichen Jahr erhielt als Titel eine Zeile aus Schillers „Wallensteins Tod“: „Wär’s möglich? Könnt ich nicht mehr, wie ich wollte? Nicht mehr zurück, wie mir’s beliebt?“ (Anm. 050) (Abb. 129) Der über dem Abgrund schwebende Reiter, für den es keine Umkehr gibt, stellte den Verlust der Entscheidungsfreiheit der NSDAP, wenn nicht gar des gesamten deutschen Volkes dar. Der demokratische Boden der Weimarer Republik war verlassen worden. Im Juni/Juli war die Auflösung aller Parteien mit Ausnahme der NSDAP erfolgt. Wieder ist die Bildidee so angelegt, daß sie über diese konkreten Hintergründe hinaus als Sinn- und Stimmungsbild der Zeit zu verstehen ist. Dieses Blatt, das ebenfalls als Druck erhältlich war, nahm Weber 1936 auch in die erste Monographie über sein Werk auf.
Niekisch charakterisierte den Duktus solcher Arbeiten: „Die Stärke der Weberschen Begabung lag in der Graphik. Stilistisch war er nicht ganz originell; man konnte die Spuren der Vorbilder feststellen, an welche er sich hielt, Goya, Daumier, Doré, Menzel und Kubin hatten ihn allerlei gelehrt. Das Dämonische zog ihn an, gern erging er sich in wilder Phantastik. Sein Strich war zart, mit einer Gewissenhaftigkeit sondergleichen strichelte er seine unheilschwangeren Wolken.“ (Anm. 051)
Das später in lithographischer Fassung berühmt gewordene Blatt „ ... und kommen nach kurzer Pause wieder“ trug bei seiner ersten Veröffentlichung als Zeichnung im „Widerstand“ den Titel „Genf: ... und kommen nach kurzer Pause wieder“ (Anm. 052) (Abb. 130). Es bezog sich damit vordergründig auf die 1932-1935 erfolglos in Genf tagende Abrüstungskonferenz des Völkerbundes. Der französische Plan einer vierjährigen Übergangsfrist bis zum Beginn der Abrüstung bot Hitler die Gelegenheit, am 14.10.1933 die deutschen Vertreter zurückzuziehen und aus dem Völkerbund auszutreten. 1935 wurde die Konferenz erfolglos abgebrochen. Gleichzeitig mag man darüber hinaus auch eine versteckte Kritik an der Rundfunkpropaganda der Nationalsozialisten erkennen. Erneut wird das Motiv Webers aber auch zu einer Chiffre für die stetige Gefahr der Wiederkehr des Krieges.
Auch der „Spekulant auf Heldentod“ (Anm. 053) (Abb. 131) von 1934 hat eine ähnlich weitreichende Aussage. Ein bürgerlicher Geschäftemacher erkennt die Zeichen der Zeit und produziert Grabkreuze auf Vorrat. Über den politischen Hintergrund seiner Zeichnungen äußerte sich Weber in seinen Briefen nicht - vermutlich war dieser seinen Brieffreunden geläufig. Dafür stand stets der Schaffensprozeß im Vordergrund: An Walther Obermiller schrieb er am 31.8.1934, kurz vor der Arbeit am „Spekulanten“: „Heute oder morgen werde ich wieder wie so oft an der Zeichnung für das nächste Heft sitzen. Dieser sanfte aber bestimmte Zwang ist nicht zu umgehen und ich fühle mich wieder [wie] vor einer Geburt - ungewiß und doch voller Hoffnung.“
1934 erschien die Zeitschrift nur in einer Auflage von 2.000 Exemplaren, in den Jahren zuvor gab es noch 3.000 - 4.500 Abonnenten. Dies lag daran, daß zunehmend Leser und Händler Furcht vor dem Nazi-Regime hatten oder sich mit ihm arrangierten. Niekisch selbst fand es in seinen Lebenserinnerungen „erstaunlich“, daß die Zeitschrift dennoch so lange erscheinen konnte. Man erlaubte sich sogar den Luxus, für die Bilder, deren Rückseiten textfrei blieben, eigens eingebundenes, glattes Kunstdruckpapier zu verwenden. Manche Leser trennten diese Bildseiten aus den Heften heraus und hängten sie auf. Weber schrieb am 15.5.1934 an Georg Grote: „Die zwei Nrn. vom W [= Widerstand] schicke ich Ihnen - das letzte Heft ist wieder gut - lesen Sie den Jünger-Aufsatz. Diese Art zu schreiben ist wohl ohne Beispiel - dazu sind wir stärker geworden und die Kunst kommt jetzt auf gutem Papier. - Geben Sie möglichst Ihre Hefte nicht fort - zumal die letzten - von den meisten ist die ganze Auflage verkauft worden und wir wachsen. Hinten sehen Sie - daß die ‘Abtlg. Kunst’ endlich so langsam wird. - Wir bauen das aus ...“ Die Bemerkung über die „Abteilung Kunst“ bezog sich auf ein Inserat, in dem der Widerstands-Verlag 1934 auch 14 Motive von Webers Zeichnungen als signierte Drucke im Format 29,5 x 37,5 cm zum Preis von 1,50 Reichsmark anbot.
Unabhängig davon wurde bereits 1930 für eine Mappe „A. Paul Weber. Das andere Deutschland. 21 Lithographien zur Geschichte dieser Zeit“ geworben, deren Einzelblätter drei Reichsmark (die gesamte Mappe 24 Reichsmark) kosteten. Auch war eine Auflage von 50 Exemplaren mit signierten Handabzügen für je 200 Reichsmark geplant. (Anm. 054)
Unter den „Widerstands-Drucken“ befand sich auch das Motiv „Der Optimist“ (Abb. 132). Diese Zeichnung fertigte Weber kurz nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 an. Eine geplante Veröffentlichung im „Widerstand“ erfolgte jedoch nicht, da der Besitzer der Druckerei Oscar Brandstetter sich weigerte, das Heft mit diesem Bild zu drucken. Weber erinnerte sich später in der Einleitung zu seinem geplanten Lithographie-Verzeichnis: „Der Optimist wurde als Bild für den Widerstand ... kurz nach der Machtergreifung bestimmt. Es hockt ein Narr auf einem Eichenstamm umflutet vom Hochwasser. Triumphierend schlägt er die Pauke - An den Aststümpfen hängen die Wappenzeichen von Luther, von Preussen und von Bismarck. ... Der Drucker verweigerte die Wiedergabe - befürchtete die Schließung seines 1000 Mann Betriebes. Es hing also vom Drucker ab- was wir publizieren durften - konnten.“
In wenigen Bildern Webers, die den Narren zeigen, nimmt dieser wie hier die Haltung eines Toren ein. Hier steht er ausnahmsweise für die Nationalsozialisten. Er hat den Rest der deutschen Eiche erklommen und schlägt die Propagandatrommel. Die Wappenschilde bezogen sich auf die Grundfesten der deutschen Nation, wie der „Widerstandskreis“ sie verstand. Niekisch nannte sie 1930 in einem Artikel: „Preußen war der Versuch einer Staatsschöpfung aus dem germanisch-slawischen Nordosten; der Heilige dieser schöpferischen Tat war Luther ... Bismarck vollendete die preußische Leistung ... indem er die stärksten machtpolitischen Stützpunkte des europäischen Romanismus schwächte und niederwarf.“ (Anm. 055)
Niekisch schrieb in seinen Lebenserinnerungen: „Man darf wohl sagen, daß die Qualität der Zeitschrift in den Jahren 1933 und 1934 ihren Gipfel erklomm. Eine ganze Reihe neuer Mitarbeiter stellte sich ein, die in hervorragenden Aufsätzen in getarnter Weise gegen Hitler polemisierten und opponierten. So hielt zum Beispiel Friedrich Georg Jünger in einem Aufsatz über das Schauspielertum ein scharfes Gericht über Hitlers Wesen und das theatralische Getriebe des Nationalsozialismus überhaupt. Die Zeichnungen A. Paul Webers entlarvten in symbolischer Gestalt in jedem Heft die innere Verlogenheit des nationalsozialistischen Regimes und die katastrophale Entwicklung der weltpolitischen Situation.“ (Anm. 056)
Die Beseitigung von Mißliebigem durch die Nationalsozialisten nahm immer weiter zu: So wurde etwa die beliebte Gesangsgruppe „Comedian Harmonists“, die 1933 mit ihrem Gassenhauer „Veronika, der Lenz ist da!“ Triumpfe gefeiert hatten, verboten.
Vielleicht konnte der „Widerstand“ so lange erscheinen, weil Gerüchte eine Verbindung zwischen der Zeitschrift und der Wehrmacht unterstellten. Doch schon 1933 gingen bei der Reichspressestelle Beschwerden über die Hefte ein. So ermittelte bereits am 25.9.1933 die Gestapo in Bayern. In einem Schreiben an das Geheime Staatspolizeiamt Berlin hieß es: „Ich ersuche um baldgefl. Mitteilung, ob die Zeitschrift ‘Widerstand’, herausgegeben von Ernst Niekisch und A. Paul Weber, noch in Berlin erscheint und welche Tendenzen sie verfolgt. Das Heft vom Juni 1933 wurde hier politisch beschlagnahmt und eingezogen, weil der Artikel ‘Atempause’ geeignet ist, den Reichskanzler herabzuwürdigen.“ (Anm. 057) Eine Beobachtung wurde daraufhin zugesagt, jedoch zögerte man mit einem Verbot. Einen weiteren Anstoß hierfür gab ein Artikel von Ferdinand Fried in der „Deutschen Zeitung“ vom 1.12.1933, in dem berichtet wurde, daß Otto Nickel sich im „Widerstand“ versteckt über die Nationalsozialisten lustig gemacht habe. In einem geheimen Schreiben der Obersten SA-Führung forderte der Obergruppenleiter bezüglich Niekisch: „Wer es auf sich nahm in der Zeit der Opposition dem Führer durch derartige Pamphlete, wie das beiliegende, in den Rücken zu fallen, die Ziele der Partei derart zu besudeln, ist aus der Volksgemeinschaft auszuschließen.“ (Anm. 058) Das Ende der Zeitschrift leitete der offiziöse Artikel „Statt eines besonderen Vorwortes! Widerstand. Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik. Ernst Niekisch und A. Paul Weber“ von Alfred Baeumler ein, der in der „Bücherkunde der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums“ Ende 1934 erschien. Der Funktionär schrieb: „Der ‘Widerstand’ bringt Bilder seines Herausgebers A. Paul Weber, die nun aber wirklich (stofflich nicht technisch) zum Widerstand herausfordern; denn sie sind von grauenerregender Scheußlichkeit, gewollt scheußlich, ja diese Scheußlichkeit scheint Selbstzweck zu sein. A. Paul Weber weiß nämlich gelegentlich nicht einmal mehr eine Unterschrift, eine Bezeichnung für seine Scheußlichkeit.“ (Anm. 059)
Niekisch berichtete: „Das Novemberheft 1934 brachte zwei Aufsätze mit scharfen, doch geistreich getarnten Angriffen auf das Dritte Reich. Die Nationalsozialisten gaben eine Zeitschrift ‘Bücherkunde’ heraus, in der sämtliche Neuerscheinungen auf nationalsozialistische Linientreue geprüft wurden. Das Dezemberheft der Zeitschrift veröffentlichte einen sechs Spalten langen Aufsatz gegen mich und den ‘Widerstand’. Alle Aufsätze meiner Zeitschrift seit 1933 wurden untersucht, die antinationalsozialistische Haltung wurde aufgedeckt und angeprangert, schließlich wurde die Unterdrückung der Zeitschrift verlangt. Jetzt gab es keine Hilfe mehr.“ (Anm. 060)
Am 20.12.1934 wurde die Zeitschrift „Widerstand“ verboten. Als Grund wurden letztlich die beiden Artikel „Kritik der Innerlichkeit“ und „Kolportage“ im Dezember-Heft angegeben. Noch nicht ausgelieferte Hefte wurden bei einer Hausdurchsuchung durch die Gestapo im Verlag beschlagnahmt.
Die Wochenzeitschrift „Entscheidung“
Die „Entscheidung“ (Abb. 133), eine „Wochenzeitung für nationalrevolutionäre Politik“, ebenfalls von Niekisch herausgegeben und von Weber illustriert, war aggressiver, polemischer und damit publikumswirksamer als die oft sehr theoretischen Beiträge im „Widerstand“. Am 9.10.1932 erschien die erste Nummer, 23 sollten es bis zum endgültigen Verbot werden. Nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30.1.1933 wurde die „Entscheidung“ vorübergehend für einige Wochen verboten. Dazu Niekisch: „Die politische Lage in Deutschland spitzte sich aufs äußerste zu. Hitler stand vor den Toren, man mußte alle Kräfte zusammenfassen, um ihn in letzter Stunde noch zurückzuschlagen. Anfang Oktober 1932 gab der Widerstandsverlag eine Wochenzeitung ‘Entscheidung’ heraus. Der ‘Widerstand’ hatte doch nur eine beschränkte Anzahl von Lesern; ich wollte den Versuch unternehmen, auf breitere Schichten zu wirken. Die Gründung der ‘Entscheidung’ war eine waghalsige Spekulation. Das Schicksal der Wochenschrift hing davon ab, ob sie genug Absatz finde, um sich zu rentieren. Die erste Nummer war noch zu anspruchsvoll; die Beiträge eigneten sich eher für eine Zeitschrift als für eine Zeitung. Erst nach einigen Experimenten fand die Zeitung den Ton, der geeignet war, das Ohr von Massen zu gewinnen. ... Auch hier steuerte A. Paul Weber Zeichnungen bei. Von ihm stammt das prophetische Bild, das den Reichstag zeigt, den eben Papen anzustecken unternimmt (Abb. 134); es erschien in einer Novembernummer der ‘Entscheidung’.“ (Anm. 061) Auch wenn Niekisch hier in der Rückschau auf den Brand des Reichstages am 27.2.1933 angespielt haben mag, so sah Weber diesen in dem genannten Bild vom 20.11.1932 natürlich nicht voraus. Das Blatt war betitelt: „Und wenn Deutschland in die Luft geht:
Staatsstreich muß sein!“ Es bezog sich mit dem Stichwort „Staatsstreich“ auf den unter diesem Begriff in die Geschichte eingegangenen Vorgang, als Papen die Regierungsbildung nach der Landtagswahl in Preußen dramatisch beendete, indem er am 20.Juli das Kabinett des Sozialdemokraten Otto Braun durch eine von Hindenburg unterzeichnete Notverordnung mit der Begründung absetzte, die Regierung Braun sei angesichts der Straßenunruhen nicht mehr Herr der Lage. Papens Zündeln am deutschen Reichstag, auf dem ängstlich der deutsche Michel sitzt, bezog sich auf die Furcht vor der Auflösung des Reichstages und die Pläne Papens, den Artikel 48 der Weimarer Verfassung außer Kraft zu setzen.
„Im Januar 1933 führte eine seherische Webersche Zeichnung Schleichers Ermordung vor Augen. Schleicher stand - in seinem Schlafzimmer - im Hemd vor seinem Bett; Hitler drang mit aufgestecktem Bajonett, von Papen geschoben, auf den General ein. An der Wand hing das Bild Gregor Strassers. Die Unterschrift lautete: ‘Wallensteins Tod’. ...“ (Anm. 062) Kurt von Schleicher war letzter Reichskanzler der Weimarer Republik und wurde am 30.6.1934 - einige Monate nach Erscheinen dieser Zeichnung Webers in der „Entscheidung“ Nr.3 (15.1.1933) - tatsächlich im Zusammenhang mit dem Röhmputsch von der SS umgebracht. Zehn Tage zuvor hatte man Gregor Strasser ermordet. Der bis November 1932 als Reichskanzler amtierende konservative Zentrumspolitiker Franz von Papen war von Januar 1933 bis Juli 1934 Vizekanzler und fungierte quasi als Steigbügelhalter Hitlers, wie Weber es hier auch darstellte.
Die Zeichnungen für die „Entscheidung“ waren näher an der Karikatur als jene ganzseitigen für den „Widerstand“, da die Wochenzeitung sich in erster Linie als Reaktion auf tagespolitische Ereignisse verstand. Darum fand man hier öfters Karikaturen von politischen Persönlichkeiten, während im „Widerstand“ häufig komplexere Sachverhalte allegorisch dargestellt wurden.
Im Heft 6 vom 5.2.1933 erschien das Motiv „Deutschland erwacht, die Knechtschaft hat ein Ende“ (Abb. 135). Der „deutsche Michel“ empfängt wohlgelaunt die Segnungen des wirtschaftlichen, kapitalistischen Aufschwungs, den Hitler verhieß. Wie Sterntaler regnen Geld, Würste und Schinken herab - jedoch fliegen auch zwei Hämmer auf den Kopf des Michel zu. „Deutschland erwache!“ war die Wahlparole der Nationalsozialisten im Juli 1932 - Weber spielte damit auf die naiven Hoffnungen der NSDAP-Wähler an. „Als Hitler am 30. Januar zur Macht gekommen war, brachte die ‘Entscheidung’ ein aufreizendes Bild: der entfesselte deutsche Michel blickt beseligt nach oben; von dort her regnet es alle die schönen Sachen, die er sich versprochen hatte und von denen er glaubte, Hitler werde ihn damit überschütten. Die Folge war, daß die ‘Entscheidung’ für einige Wochen verboten wurde. Noch einmal durfte sie herauskommen, mußte dann aber für immer ihr Erscheinen einstellen..“ (Anm. 063)
Kurz vor dem Verbot zeichnete Weber für die Titelseite des Heftes 7 vom 12.2.1933 einen „deutschen Michel“, der an einen Schandpfahl gekettet und mit der Zunge daran festgenagelt ist. Wie Flügel ragen Zeitungsblätter aus seinem Rücken. Der Titel beklagte den Verlust der Pressefreiheit: „So, nun sage als ein deutscher Mann deine Meinung frank und frei - wenn du noch kannst.“ (Abb. 136) Das Bild erschien zu einem Artikel mit dem Titel: „Es schweige der Untertan“.
Mit einer Verfügung des Polizeipräsidenten von Berlin vom 28.3.1933, die man in der letzten Nummer der „Entscheidung“ abdruckte, wurde die Zeitung bis zum 25.6.1933 verboten. Danach erschien sie nicht mehr. Insgesamt wurden in den Publikationen „Widerstand“ und „Entscheidung“ fast 200 Zeichnungen Webers abgedruckt.
Reinhausen
In dieser Zeit hatte er neben aller künstlerischen Arbeit einmal mehr mit Umzugsschwierigkeiten zu tun. Nach der Geburt des Sohnes Hartmut 1929 benötigte die inzwischen sechsköpfige Familie mehr Platz. Hinzu kam der Wunsch nach einem Garten, der den Haushalt entlasten, aber auch den Kindern einen größeren Freiraum bieten sollte. Das bisherige Haus in der Nikolausberger Kalklage stand recht ungünstig mitten auf dem Hof des Bauern Schlote, der Weber das Leben durch Beanstandungen und Mahnungen erschwerte. So zog der Künstler im Frühjahr 1930 nach Reinhausen (Anm. 064) und meldete sich dort am 16. April 1930 mit der Familie an. (Anm. 065) Reinhausen, bereits im 9.Jahrhundert während der Kämpfe zwischen Sachsen und Franken als Befestigung errichtet, liegt etwa 8 km südöstlich vom Göttinger Stadtzentrum entfernt dicht an der niedersächsisch-thüringischen Grenze. Der von Wald und Feldern umsäumte Ort wird von einem mächtigen, 15 Meter steil abfallenden Sandsteinfelsen geprägt. Oben befinden sich die ehemaligen Klostergebäude mit der Kirche, während der eigentliche Ort sich - dem Wendebach folgend - am Fuße des Felsens hinzieht. Weber fand am äußersten östlichen Dorfrand in der Waldstraße ein großzügig konzipiertes Haus (Anm. 066) mit einem verwilderten Bauerngarten direkt am Wendebach. „Von der großen Eingangshalle des Hauses ging es ins Atelier, das im Winter vom Kaminfeuer gewärmt wurde. Hier arbeitete Weber und ließ sich durch andere Anwesende nicht stören. ... Gelegentlich räusperte er sich mal. Das war ein Zeichen, daß er eigentlich auch mal etwas sagen wollte. Ich unterbrach, ging dann zu ihm, wir besprachen, kann man das so machen oder so ... Und wenn Weber gut gelaunt, übermütig war, sagte er: ‘Machen Sie mal wieder’ - Dann kriegte ich meine Flöte raus. Diese Marsch- und Volkslieder klangen in der Eingangshalle wundervoll.’“ (Anm. 067) Der hier zitierte Heinrich Bodenstein hatte beim Umzug geholfen und wohnte jetzt einige Zeit bei Weber. Ihm verdanken wir auch eine Schilderung von Webers Arbeitsweise: „Während Karl Ruppel und andere Freunde den verwilderten Garten hinter der Villa umgruben, arbeitete Weber an den Illustrationen für die Regimentsgeschichte (Anm. 068) seiner ehemaligen Pioniereinheit. Dafür hatte er sich unter anderem von einem Bergbaudirektor, der damals sein Batteriechef gewesen war, Unterlagen ausgeliehen: Generalstabs- und Landkarten, Fotos und Bücher. Das Haus stand Kopf, denn Weber war kein Mann der peinlichen Ordnung“. Die Familie galt als „ausgesprochen freundlich, sparsam und bescheiden“. (Anm. 069) „Wenn die mal Geld hatten, dann gab es Platenkuchen, sonnabends ...“
Anders wäre es auch nicht möglich gewesen, denn die Bäckerei Hausknecht backte ausschließlich Brot und Brötchen. Kuchen gab es nur zum Wochenende und an den Festtagen. „Es lebten unter den etwa 500 Einwohnern so viele arme Leute hier. Die meisten arbeiteten auf der Staatlichen Domäne Reinhausen oder bei den etwa ein Dutzend Bauern, kümmerten sich um die Pferde- und Ochsengespanne, waren Schmiede und Stellmacher, Melker, Gärtner, Futterknechte und Mägde. Beamte oder Angestellte gab es nur beim Amtsgericht, dem Forstamt oder der Sparkasse.“
Weber wird übereinstimmend als „zurückhaltend, gepflegt - immer in einer Kniebundhose! - und mit einem Spitzbart“ geschildert. Etwas überraschend vielleicht: Der damals 37jährige mit der hohen Stirn war für die Dorfkinder „ein alter Herr“.
Hin und wieder kamen Besucher zu ihm ins abgelegene Reinhausen: „Fahrende Gesellen“ aus Göttingen, Redakteure vom Göttinger Tageblatt, der Apotheker Gerhard Willrich, der Buchhändler und Lektor Otto Ruprecht, der eines Tages auch den damals hochgeschätzten Dichter und Schriftsteller Baron Börries von Münchhausen mitbrachte. Man fuhr mit der Gartetalbahn, einer Kleinbahn, von Göttingen aus bis zur Station Diemarden und legte die letzten drei Kilometer bis zum Haus Webers zu Fuß zurück. Oft schlossen sich gemeinsame Wanderungen durchs waldreiche Bürgertal (Anm. 070) an. Den Maler interessierten dabei weniger die pittoresken Felsgrotten, sondern die beiden stumpfen Bergkegel der Alten und der Neuen Gleichen wenige Kilometer östlich von Reinhausen, die er mehrfach malte.
Auch wenn die Jahre in Reinhausen zu den glücklichen in Webers Leben zählen dürften, ist ihm vermutlich die monatliche Miete in der sich wirtschaftlich zunehmend verschlechternden Zeit schwergefallen. Das Angebot Alfred Toepfers, auf dem Brümmerhof bei Soltau unentgeltlich leben und arbeiten zu können, kam 1933 gerade recht. Am 5.5.1933 heißt es im Einwohnermeldebuch der Gemeinde Reinhausen: „Verzeichniß der Abziehenden ... Andreas Weber, Landschaftsmaler“.
Illustrationen für den Widerstands-Verlag
Mit den Publikationen des Widerstands-Verlages wollte Niekisch die Herausgabe der beiden Zeitschriften „Widerstand“ und „Entscheidung“ finanziell absichern aber auch das geistige Spektrum der Mitglieder des „Widerstandskreises“ erweitern. So veröffentlichte er in seinem Buch „Politik des deutschen Widerstandes“ eine Literatur-Liste „für den deutschen Widerstandsmann“, die von Werken Hegels und Fichtes über Nietzsche, Friedrich d. Gr. und Bismarck bis zu Oswald Spengler, Ernst Jünger und Lenin reichte. Neben Niekischs eigenen Büchern fanden sich hier auch weitere von Weber illustrierte Publikationen des Widerstands-Verlages wie 1929 Kutzlebs „Mord an der Zukunft“ und im folgenden Jahr Hans Bäckers „Begegnungen eines Deutschen“, Stapels „Literatenwäsche“, der „Demokratenspiegel“ von Mencken und „10 Jahre im belgischen Kerker“ von August Borms (Anm. 071).
Eine 1929 erschienene kleine Mappe „Um die akademische Freiheit“ enthielt acht Postkarten von satirischen Zeichnungen Webers. Inhaltlich richtete sich die Bildfolge an die studentische Jugend Deutschlands, in der - so Niekisch - der „Wille zur deutschen Freiheit“ brenne. Im Text hieß es: „ ... die Republik, die einst mit verdächtigem Eigenlob ihr Grundgesetz als ‘die freieste Verfassung der Welt’ anpries, legt bereits die Hand an die akademische Freiheit, die unter der Monarchie unangetastet blieb.“
Im selben Jahr versah Weber Giuseppe Prezzolinis „Das Leben des Nicolo Machiavelli“ mit 15 kleinformatigen Holzstichen und Holzschnitten (Abb. 137). Machiavellis Staatstheorien waren für Niekisch ideologisch von Bedeutung. Im selben Format und in von Weber gleich gestaltetem, nur farblich variiertem Einband präsentierten sich neben der Machiavelli-Biographie auch die Bücher von Kutzleb, Mencken und Stapel.
„Mord an der Zukunft“ war von Hjalmar Kutzleb im Stil einer Polemik verfaßt worden. Der Widerstands-Verlag wies in seinen Werbeanzeigen für das Buch auf die „derbe Art“ und „fast lutherische Robustheit“ hin. Kutzleb beklagte darin die „viel zu niedrige Geburtenrate“ in Deutschland und das Zunehmen von „rassisch minderwertigen Schichten“ sowie die „Frauenbewegung“ und die „Veramerikanisierung“ der deutschen Gesellschaft. Im Kapitel „Erziehung“ zog er über Massenbildung und den „alles zersetzenden Intellektualismus“ her. Webers Zeichnung hierzu (Abb. 138) zeigt ein „Bildungspflänzchen“, das nur noch aus Kopf besteht und den alten Wandervögeln, die auch auf körperliche Ertüchtigung Wert legten, ein Greuel war. (Anm. 072) Weber war mit Kutzleb seit der gemeinsamen Wandervogel-Zeit befreundet. Im Sommer 1934 jedoch brach Weber die langjährige Freundschaft zu ihm ab, nachdem Kutzleb eher indifferent auf die Broschüre „Hitler - ein deutsches Verhängnis“ reagiert hatte. (Anm. 073)
Der deutschstämmige Amerikaner Henry Louis Mencken (Anm. 074) attackierte 1926 in seinen satirischen „Notes on Democracy“ die Demokratie, besonders jene in den USA. Der Widerstands-Verlag gab 1930 die deutsche Übersetzung von Dora Sophie Benjamin-Kellner, der Frau Walter Benjamins, unter dem Titel „Demokratenspiegel“ heraus. Das Vorwort hierzu schrieb Joseph Drexel. Weber schuf für die deutsche Erstausgabe neun ganzseitige Lithographien (Abb. 139). Er zeichnete sie in der Druckerei Oscar Brandstetter in Leipzig „unterm Dach“ auf den Stein, obwohl er selbst schon eine Lithographie-Druckpresse älterer Bauart besaß, als er 1928 nach Nikolausberg zog. Diese Presse hatte er jedoch aus Mangel an Litho-Steinen nie benutzt. Wohl im September 1928 erhielt er von Otto Säuberlich eine Presse geschenkt, die fortan alle Umzüge mitmachte. Die ersten Versuche, wieder selbst zu lithographieren, fielen nach Webers eigenen Angaben (Anm. 075) in die Zeit kurz vor 1930: Die großformatige Lithographie eines Gefangenen im Kerker (Anm. 076) ist handschriftlich 1929 datiert. Den hierfür erforderlichen großen Litho-Stein erhielt Weber ebenfalls von Säuberlich. Die kleineren, welche für die Lithographien zum „Demokratenspiegel“ benötigt wurden, gehörten aber wohl der Druckerei Brandstetter. Es war das erste Mal, daß Weber diese Technik für eine Folge von Buchillustrationen verwandte. Anders als in den eher skizzenhaften Federzeichnungen für das Kutzleb-Buch, die selbst Weber zu dieser Zeit nur als „nett“ bezeichnete, waren die Lithographien durch ihre differenzierten Grauwerte von künstlerisch höherer Qualität. „Es ist das Ziel der Demokratie, alle Freigeister unter das gemeinsame Joch zu beugen. Sie versucht, sie glattzuplätten ... sie zu gehorsamen Bürgern zu machen.“ Webers Illustration zu dieser Textstelle geht über den Ansatz des Textes hinaus: sie zeigt den Tod (Abb. 139). Nur die Kokarde der französischen Revolution weist auf den politischen Bezug hin, darüber hinaus ist der Tod mit dem großen Hobel eine Metapher für die Ängste dieser Zeit schlechthin.
43 Federzeichnungen entstanden als kleine Streubilder für das Buch „Literatenwäsche“. Der Autor Wilhelm Stapel, Redakteur der Monatszeitschrift „Deutsches Volkstum“, wurde von Niekisch als „geschickter Polemiker von tiefer Bildung“ charakterisiert, „der sich immer am Rande des Antisemitismus bewegte.“ Weber sparte in den Illustrationen die Juden, die auch Symbolfiguren des Großkapitals waren, nicht aus. Ein polemisches Gedicht (Anm. 077) von Stapel über Kurt Tucholsky illustrierte er mit einer Karikatur, die diesen als aufgespießtes Insekt darstellte (Abb. 141). Tucholsky selbst reagierte auf diese Zeichnung amüsiert. Er schrieb unter seinem Pseudonym Peter Panter in der Rezension des Buches: „Wäre der Text so hübsch wie die im Stil Heinrich Kleys gehaltenen Streubildchen A. Paul Webers (mich hat er als Laus aufgespießt), dann könnte man 128 Seiten lang lachen. So gähnt man, als seien es dreihundert.“ (Anm. 078)
Ernst Niekisch legte seine Auffassung über die Juden seinem Freund, dem Arzt Karl Strünckmann dar. Er schrieb ihm am 24.3.1932: „Wenn ich irgendwie jüdisches Blut in meinen Adern hätte, würde ich irgendwie ein Verhältnis zu den Juden, sei es in positiver, sei es in negativer Art vom Instinktiven her besitzen. Das ist aber nicht der Fall. Alles Jüdische empfinde ich als schlechthin fremdartig und unzugänglich und zwar so, dass es mich überhaupt nicht interessiert, dass ich daran vorbeigehe, als sei es Luft. Ich bin weder Philosemit noch Antisemit ...“ Weber dürfte diese Einstellung geteilt haben. Es gibt von ihm keine schriftlichen oder mündlichen Äußerungen, die ihn als Antisemiten ausweisen; auch gibt es außerhalb der Illustrations-Auftragsarbeiten keine Werke, in denen er persönlich gegen die Juden Stellung bezogen hätte.
Daß politische Bücher überhaupt mit Illustrationen versehen wurden, war ungewöhnlich und wurde in den Rezensionen entsprechend hervorgehoben und gewürdigt. Die Illustrationen zu den Büchern von Kutzleb und Stapel sind schlicht gehalten und vermitteln deutlich die Wertigkeit einer Auftragsarbeit. Aus Webers Illustrationen stets eine geistige Übereinstimmung mit dem jeweiligen Inhalt oder dessen Billigung schließen zu wollen, ist falsch. Gedanken, wie sie in den Büchern von Killinger, Stapel und Kutzleb propagiert wurden, finden sich in den freien Arbeiten Webers nicht. Bemerkenswert ist auch, daß er keines der theoretisch-trockenen Bücher von Ernst Niekisch über Politik illustrierte - seine Arbeit beschränkte sich hier auf Umschlaggestaltung und Buchschmuck. Anders verhielt es sich mit der Kampfschrift „Hitler - ein deutsches Verhängnis“.
„Hitler - ein deutsches Verhängnis“
Der Publizist Sebastian Haffner bezeichnete Niekisch und Hitler als „die schärfsten Antipoden“ und führte aus: „Das einzig Gemeinsame war ihre Gegnerschaft gegen die Weimarer Republik ... Im übrigen wollten sie in jeder Einzelheit das genaue Gegenteil: Hitler die nachträgliche Rache an den ‘Novemberverbrechern’, Niekisch den nachträglichen Sieg der Novemberrevolution; Hitler die faschistische Konterrevolution, Niekisch die sozialistische Revolution; Hitler den antibolschewistischen Kreuzzug und die Kolonisierung Rußlands mit stiller Beihilfe des Westens, Niekisch das Bündnis mit dem bolschewistischen Rußland gegen den Westen. ... Hitler wollte Massen einfangen für eine kapitalistisch-imperialistische Politik; Niekisch eine neue Elite gewinnen für eine Politik des preußisch-asketischen Sozialismus.“ (Anm. 079) Michael Pittwald hingegen schrieb: „Somit ist Niekischs Hitler-Gegnerschaft, bei all ihrer scharfen Polemik, prinzipiell konstruktiv und eine Kritik von rechts.“ (Anm. 080) Der von Niekisch vielfach unterschätzte Hitler wurde von ihm als politischer Rivale gesehen. Die Kritik an Hitler richtete sich hauptsächlich gegen dessen Demagogie und Person - so nennt Niekisch ihn in seinem Buch „Das Reich der niederen Dämonen“ einen „dinarisch-balkanesischen Mischling mit der Physiognomie eines Zuhälters.“ (Anm. 081)
Den publizistischen Höhepunkt der Auseinandersetzung Niekischs mit Hitler bildete die Kampfschrift „Hitler - ein deutsches Verhängnis“, die im Januar 1932 im Widerstands-Verlag erschien und bereits im März in die 2.Auflage ging. 40.000 Exemplare wurden schließlich insgesamt in fünf Auflagen gedruckt. Die Broschüre wurde vom „Hindenburg-Ausschuß“ wie auch von der sozialdemokratischen Regierung Preußens um Otto Braun 1932 in den Wahlkämpfen kostenlos verteilt. (Anm. 082)
Im Vorwort schrieb Niekisch: „Diese Schrift entstammt nicht unbezwinglicher Sucht zur Kritik. Der Entschluß zu ihr fiel nicht leicht. Es ist schwer, nüchtern zu bleiben, wo zahllose trunken sind; es schmerzt, nicht mithoffen und mitglauben zu können, wo kaum einer mehr zweifelt. Aber niemand nimmt dem seine Verantwortung ab, den sein eigenes Gewissen zur Rechenschaft zieht. Keiner darf schweigen, der Abgründe sieht, wo andere noch blind sind. ...“
Zu der 36 Seiten starken Broschüre lieferte Weber fünf Federzeichnungen und das Umschlagmotiv. Seine gegen Hitler und die Nationalsozialisten gerichtete Bildmotive waren so provokant, daß im „Widerstandskreis“ Bedenken aufkamen, sie zu veröffentlichen. Niekisch schrieb in seinen Lebenserinnerungen: „Nachdem ich meine Broschüre’Hitler - ein deutsches Verhängnis’ geschrieben hatte und die Weberschen Entwürfe zu den Zeichnungen vorlagen, lud ich [Ernst] Jünger, [Carl] Schmitt und [Arnolt] Bronnen zu mir ein. Ich legte die Entwürfe vor. Bronnen wandte sich sogleich dagegen; er fühlte sich durch den Angriff auf den Nationalsozialismus verletzt und warnte vor den bösen Folgen einer Veröffentlichung. Rücksicht auf solche Folgen zu nehmen sei nicht meine Sache, entgegnete ich.
Schmitt rief aus, nie habe er etwas so Eindrucksvolles gesehen, das Titelbild erschlage förmlich. Jünger hielt sich mit seinem Urteil zurück. Er wisse wohl, meinte er, wie ich mir alles überlege und alle Folgen einkalkuliere. Er finde die Zeichnungen gut und wirksam, und wohl werde die Broschüre einen großen Eindruck machen. In den mannigfachen Gesprächen, die ich im weiteren Ablauf der Ereignisse mit Jünger hatte, blieb unverborgen, daß Jünger gegen den Nationalsozialismus von starker Abneigung war. Der pöbelhafte Geist der Bewegung vor allen Dingen war es, der ihn abstieß.“
Ernst Jünger erinnerte sich: „Als Niekisch seine Schrift ‘Hitler - ein deutsches Verhängnis’ abgeschlossen hatte, auf deren von A. Paul Weber gezeichnetem Umschlag man Legionen Bewaffneter mit ihren Bannern im Schlamm versinken sah, zeigte er mir die Druckbogen. Das war leider mehr als ein politisches Pamphlet: es war eine Vision. Es muß unmittelbar vor der Berufung Hitlers zum Reichskanzler gewesen sein. Niekisch kam mir vor wie ein Mann, der im Begriff steht, sich in die Luft zu sprengen; ich riet ihm von der Veröffentlichung ab. Er war aber kein politischer Gegner im üblichen Sinne; er litt unter dem, was er über das Land heraufziehen sah, in einer Tiefe, die Furcht nicht aufkommen ließ.“ (Anm. 083)
Niekisch schrieb in seiner Broschüre: „Der Nationalsozialismus ist der Strohhalm, an den sich der Kleinbürger klammert, um nicht im antibürgerlichen Sozialismus zu ertrinken; er ist kein Ausbruch aus der bürgerlichen Gesellschaft, sondern eine äußerste Anstrengung, in ihr zu verharren.“ (Anm. 084)
Auf dem Umschlag hebt ein riesiges Totengerippe in SA-Uniform über einer Menschenmenge mit SA-Standarten die knochige Hand zum Hitlergruß (Abb. 142). Weber sah in Hitler den Tod - dies ging weit über Niekischs Anschauung hinaus. An den Beginn des Textes stellte Weber ein weiteres Bild des Todes (Abb. 143): Diesmal hockt auf einer riesigen Kugelmine, stimmt sein einsaitiges Cello und gibt damit den „Auftakt“ - so der gebräuchliche Bildtitel (Anm. 085) - für die kampfbereiten nationalsozialistischen Massen. Rechts gähnt ein dunkler Abgrund. Auch hier wirkt der Tod überdimensional und bedrohlich.
Eines der bekanntesten Bilder ist die Federzeichnung „Deutsches Verhängnis“ (Anm. 086), die - ganzseitig - das Kernstück der Broschüre bildet (Abb. 144). Menschenmassen mit Hakenkreuz-Standarten stürmen einen Hügel hinauf und fallen unaufhaltsam in einen riesigen Sarg mit dem Hakenkreuz - ein Massengrab. Wieder war Tod das zentrale Thema des Bildes. Weber fand hier eine zwingende Gestaltung, welche die unaufhaltsame Dynamik dieser Massenbewegung mit einfachsten Mitteln treffend zum Ausdruck brachte. Interpretationsversuche, die hier lediglich den Untergang der NSDAP als politischer Partei in die Bürgerlichkeit sehen wollen, wie dies der Text Niekischs nahelegt, greifen hinsichtlich der Intention Webers zu kurz. Daß auch die Nationalsozialisten das Bild in gleicher Weise wie Weber verstanden, belegt ein Schreiben der Gestapo Berlin vom 16.1.1937 an das Presseamt der Gauleitung der NSDAP Berlin: „Die Broschüre enthält eine äusserst abfällige Kritik der Politik der NSDAP bis zum Jahre 1932. Aus diesen Betrachtungen zog N. [= Niekisch] den Schluß, dass die NSDAP für Deutschland kein Beginn, sondern ein Ende bedeute. Den Führer nannte er einen ‘halt- und richtungslosen Mann’, der hinter Cäsarengebärden verstecke, welch armseliger Spielball der Ereignisse er sei. Der Schrift waren einige Zeichnungen von A. Paul Weber beigegeben, die dartun sollten, wie das deutsche Volk unter Führung der Nat.Soz. mit fliegenden Hakenkreuzfahnen dem Untergang entgegengeht.“
Die vierte Zeichnung zeigte den deutschen Reichsadler, der trauernd auf einem Leichenberg hockt. Die Fahnen (SA-Standarte und Rotfront-Banner) zeigen, daß sich hier Kommunisten und Nationalsozialisten in den blutigen Straßenkämpfen gegenseitig umgebracht haben.
Das folgende Bild setzte abermals Hitler mit dem Tod in enge Verbindung (Abb. 145): In einem Münchner Festsaal ist bürgerliches Publikum versammelt, das begeistert einer Vision zujubelt. Kein Geringerer als der Tod selbst hat sich als Harlekin verkleidet und bläst vor der Menge eine Seifenblase mit dem fast religiös-verklärt wirkenden Antlitz Hitlers auf.
Das Schlußbild illustrierte Niekischs Text: „Das Ergebnis des unerhörten Aufwandes ist am Schluß die Katastrophe ... Ein ermattetes, erschöpftes, enttäuschtes Volk bleibt dann zurück, das alle Hoffnung fahren läßt und müde am Sinn jeder ferneren deutschen Gegenwehr verzweifelt. Die Versailler Ordnung aber wird gefestigter sein, als sie es jemals war.“ (Anm. 087) Das Bild dazu zeigt einen Mann mit Hakenkreuz-Armbinde, der verzweifelt, barfuß und in Ketten auf einer Schubkarre hockt.
In jedem der Bildmotive sind Menschenmassen und Tod in vielfacher Ausformung präsent. Dies sollte wenig später blutige Realität werden. In dieser Ahnung des Furchtbaren unterscheidet sich Weber von dem intellektuellen Theoretiker Niekisch, der vor allem das politische Ende der NSDAP beschwor. „Daß Weber diese Unnatur, Hitler als Tod, 1932 ins Bild brachte, als es noch nicht zu spät war, ist eine große moralische und künstlerische Leistung.“ (Anm. 088)
Es liegt auf der Hand, daß diese direkt gegen Hitler und den Nationalsozialismus gerichtete Broschüre eine scharfe Verurteilung durch die Behörden des Dritten Reiches erfuhr. In der Urteilsbegründung im Prozeß gegen Niekisch 1939 wurde dargelegt: „Aus diesen politischen und wirtschaftlichen Auffassungen schon ergab sich für den Angeklagten Niekisch zwangsläufig eine scharfe ablehnende Einstellung gegen die nationalsozialistische Bewegung, die insbesondere in der ebenfalls im Frühjahr 1932 erschienenen Broschüre ‘Hitler - ein deutsches Verhängnis’ ihren Niederschlag fand. Diese Schrift hat über den Kreis der Anhängerschaft Niekischs hinaus besonders in intellektuellen Kreisen und auch im Ausland weiteste Verbreitung gefunden. Die in ihr niedergelegten Grundsätze wurden ebenfalls vor wie nach der Machtübernahme als Grundlage der Widerstandsbewegung und für sie richtunggebend betrachtet. ... Sich von sachlicher Kritik weit entfernend, enthält die Broschüre an zahlreichen Stellen Ausfälle, die nicht nur von einer grundlegenden Verkennung des Nationalsozialismus zeugen, sondern von tiefgreifender Gehässigkeit erfüllt sind.“ (Anm. 089)
Niekisch erinnerte sich an Weber: „Seine Zeichnungen zu meiner Hitler-Broschüre, insbesondere das Sargbild, waren von ungeheurer prophetischer Kraft und gehörten sicher zu dem Besten, was ihm je gelungen war. Auch nach 1933 beharrte er auf seiner ablehnenden Stellung gegen Hitler. Er wollte geheime Flugblätter mit vernichtenden Satiren gegen die Männer des Dritten Reiches herstellen.“ (Anm. 090)
Nach dem Krieg äußerte sich Weber über die Broschüre in einem Brief vom 30.1.1950 an Peter Callesen: „Sie wissen, „Hitler - ein deutsches Verhängnis“ - das lag mir schon im Blut, und mit geringen Pausen, in denen ich auf ein erträgliches, einigermaßen tragbares Ende hoffte, schwebte ich nicht in Illusionen - aber mein Ahnen - was ich zeichnete - war verächtlich unbedeutend gegen dieses Ausmaß an Leid und Vernichtung - wären noch hundert oder mehr gewesen - so zu warnen - das andere war stärker.“ (Anm. 091)
Die Vielfalt des Widerstands-Verlages, das intellektuelle und künstlerische Niveau einzelner Publikationen wird deutlich durch einige Werke, für die Weber vor allem die Umschläge oder Einbände gestaltete. 1934 - im Jahr des „Röhm-Putsches“, der Hitler zur Ausschaltung der SA-Führung und politischer Gegner diente (etwa 85 Tote, überwiegend durch Hinrichtungen ohne Gerichtsurteil) - erschien hier der erste Gedichtband Friedrich Georg Jüngers (Anm. 092), des Bruders von Ernst Jünger (Abb. 146). Darin war das Gedicht „Der Mohn“ enthalten, das schon bald in vielen Abschriften kursierte: „Mohnsaft, du stillst uns den Schmerz. Wer lehrt uns das Nied’re vergessen? / Schärfer als Feuer und Stahl kränkt uns das Niedere doch. / Wirft es zur Herrschaft sich auf, befiehlt es, so fliehen die Musen. / Ach, die Lieblichen sind schnell in die Ferne entfloh’n. / Klio, als sie die Grenzen erreichte, wandte zurück sich, / Abschied nahm sie, sie sprach scheidend ein treffendes Wort:
/ ‘Toren heilt man mit Schlägen und Spott, bald kehr’ ich mit Geißeln, / Die ein Richter euch flocht, kehre mit Peitschen zurück. / Oft schon herrschten Tribunen, es floh in die lieblose Fremde / Finster Coriolan, fort ging der edlere Mann. / Prahlend blieb der Schwätzer zurück, umjauchzt von der Menge, / Histrionengeschmeiß spreizt sich auf hohem Kothurn.’ / ... Wollt ihr betrügen das Volk, so schmeichelt ihm schamlos und lobt es, / Dient ihm mit Worten zuerst, eh’ ihr es redend beherrscht. / Hört, es schmeicheln Tribunen dem Volk, es jubeln Betrog’ne / Laut den Betrügern zu, die sie mit Netzen umgarnt ...“ Die unmißverständliche Charakterisierung des Nationalsozialismus als „das Niedere“ trug erheblich zum Erfolg des Bandes bei, dem bis 1936 zwei weitere Auflagen folgten, bevor er schließlich - nach Verbot des Widerstands-Verlages - von der Hanseatischen Verlagsanstalt in Hamburg übernommen wurde. Thomas Mann notierte am 30.11.1934 in seinem Tagebuch: „Las in klassizistischen Gedichten eines F. G. Jünger, die Bermann geschickt hatte, erschienen im „Widerstandsverlag“ Berlin, darin ein Stück „Der Mohn“, von fabelhafter Aggressivität gegen die Machthaber, das ich, als die Meinen vom Theater zurückgekehrt waren, ihnen beim Abendessen zu allgemeinem Erstaunen vorlas.“ (Anm. 093) Gerade dieses Gedicht trug allerdings dazu bei, daß Friedrich Georg Jünger von nun an durch die Geheime Staatspolizei überwacht, verhört und bedroht wurde, bis er schließlich aus Berlin ins abseits gelegene Überlingen am Bodensee verzog.
1935 erschien im Waldemar Hoffmann-Verlag, Berlin, das Erstlingswerk von Alexander Mitscherlich (Anm. 094), „Reiterbuch. Bilder, Gedanken und Gesänge“ (Abb. 147). Mitscherlich war Lektor des Widerstands-Verlages, der noch im gleichen Jahr eine Teilauflage des Buches übernahm. Weber hatte nicht nur die äußere Gestaltung übernommen, sondern zu den Pferdedarstellungen aus verschiedenen Ländern und Epochen auch eigene Federzeichnungen beigegeben. Neben Mitscherlichs essayistischen Ausführungen zum Verhältnis Reiter und Pferd standen Texte vom Altertum bis zur Gegenwart, darunter Sergej Jessenins Gedicht „Die Pferde“ und Wilhelm Lehmanns „Oberon“: „Durch den warmen Lehm geschnitten / Zieht der Weg. Inmitten / Wachsen Lolch und Bibernell. / Oberon ist ihn geritten, / Heuschreckschnell. / ... Nur ein Klirren / Wie von goldenen Reitgeschirren / Bleibt, / Wenn der Wind die Haferkörner reibt.“
Ende September 1935 gab der Widerstands-Verlag auf Betreiben Mitscherlichs den ersten Gedichtband eines nahezu unbekannten Schriftstellers - Wilhelm Lehmann (Anm. 095) - heraus (Abb. 148). Vielleicht erinnerte sich damals der eine oder andere Leser, daß Alfred Döblin 1923 Lehmann den Kleist-Preis verliehen hatte. Es waren von ihm auch schon einige Erzählungen und Romane - von der Kritik kaum beachtet - erschienen. Der Dichter Karl Krolow schrieb: „Aufmerksam auf den Lyriker Wilhelm Lehmann wurde ich 1936. Ich hatte eine abfällige Kritik gelesen, die mich irgendwie anzog. Man hatte damals eine Witterung für bestimmte Bücher, und hier überfiel es mich geradezu. Bald danach brachte das „Schwarze Korps“ einen bösen Artikel über den Dichter und sein Buch. Ich kaufte mir den Band und fand mich nach der Lektüre benommen vor Verwunderung und Bewunderung. Ich war Dichtung begegnet, die anders war als die auch damals schon schwunghaft betriebenen Anklänge und Nachklänge an Rilke und Hölderlin, ganz anders auch als alles, was die deutsche Lyrik repräsentieren zu müssen glaubte.“ (Anm. 096) Krolow meinte mit diesem spöttisch-bitteren Zusatz „Blut und Boden-Barden“ wie Anacker, Schirach und Zillich.
Man hatte im Widerstands-Verlag lange die von Lehmann angebotenen Arbeitstitel des Gedichtbandes („Buntes Gewölk“, „Die Einöde“ u.a.) diskutiert und sich sehr bewußt für „Antwort des Schweigens“ entschieden. Der Titel forderte - jenseits aller Naturlyrik - eine politische Interpretation förmlich heraus, wozu das Erscheinen gerade in diesem Verlag erheblich beitrug. Als der Widerstands-Verlag im März 1937 verboten wurde, übernahm die Druckerei Oskar Brandstetter den Gedichtband, verkaufte bis 1940 allerdings nur 20 Exemplare. So mußte Lehmann selbst die Restauflage über Antiquariate oder private Annoncen („Deutsche Allgemeine Zeitung“, „Kölnische Zeitung“) anbieten, fand dadurch aber Käufer wie Erich Pfeiffer-Belli, Karl Schmidt-Rottluff und Ina Seidel, die mehrere Exemplare bestellten. Zu den Bewunderern des Dichters zählten damals schon Martin Raschke, Eberhard Meckel, Günter Eich und der Maler Ernst Wilhelm Nay, vor allem aber Elisabeth Langgässer. Die - im Jargon der Nationalsozialisten - „Halbjüdin“ Langgässer hatte 1936 Schreib- und Publikationsverbot erhalten, stand aber seit diesem Jahr in enger Verbindung mit Lehmann. „Gibt es eigentlich - außer der göttlichen - eine höhere Hilfe von Mensch zu Mensch, als diesen Zuspruch der ungeschändeten Natur, die sich in Ihnen ihr Weidenrohr geschaffen hatte? Dafür danke ich Ihnen heute mit jedem Atemzug.“ (Anm. 097)
Weber stand in einem Arbeitsverhältnis zum Widerstands-Verlag wie zu vielen Verlagen vorher auch. Trotz Unterstützung durch den Kaufmann Alfred Toepfer und der Arbeit für zahlreiche andere Verlage, wie Grote in Berlin, bot ihm die feste Bindung an den Widerstands-Verlag zwar kein lukratives, aber immerhin ein gesichertes zusätzliches Einkommen.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß Weber nicht alle Gedanken und Ziele des „Widerstandskreises“ teilte. In einem Gespräch mit Harald Isermeyer bestätigte Weber 1974: „Die Themen mußten mir nicht unbedingt sympathisch sein. Mir kam es immer besonders darauf an, gute Formulierungen zu finden ...“ (Anm. 098) Isermeyer schloß daraus: „So zeichnete Weber von Beginn an eine gewisse Überparteilichkeit aus. Sei es, daß dem Künstler ein ganz persönlicher Standpunkt fehlte, sei es, daß er diesen für seine Person als unwichtig erachtete, jedenfalls ist von einem politisch argumentierenden A.P.Weber nichts bekannt. Er hörte zu und lieferte im Nachhinein seinen Beitrag in Form einer Zeichnung. ... Aus dieser ‘Zusammenfassung’ auf Webers eigenen Standpunkt schließen zu wollen, wäre voreilig geschlossen. Er verstand sich als dienendes Organ der nationalen Opposition.“ (Anm. 099) Dies war auch die Einschätzung der Zeitgenossen im „Widerstandskreis“. Rudolf Fischer schrieb in einem Artikel über Weber im „Widerstand“: „Die große formale Begabung ermöglicht es dem Künstler, in der Ausstattung dem Inhalt und der Bestimmung der Bücher in einem erstaunlichen Maße gerecht zu werden; er wurde durch diese Fähigkeit als Zeichner auch zum Träger eines politischen Willens, der ihm ursprünglich ganz fern lag. ... Und der Künstler Weber fährt dabei nicht schlecht, denn ihm ist hier ein Betätigungsfeld eröffnet, das seiner Entwicklung alle Wege öffnet.“ (Anm. 100)
Wie wenig man damals im Verlagswesen auf Gesinnungen der Illustratoren Rücksicht nahm, zeigt die Tatsache, daß der Verlag Velhagen & Klasing Weber ein Jahr nach Veröffentlichung der gegen den Nationalsozialismus gerichteten Kampfschrift „Hitler - ein deutsches Verhängnis“, drei Monographien zur Buchgestaltung anbot: Luther, Hindenburg und - Hitler. Weber kommentierte dies knapp in einem Schreiben an Heinrich Bodenstein vom 12.8.1933: „Velhagen u. Klasing haben bei mir [Titelbilder] zu den Monographien Luther Hindenburg und Hitler bestellt - schön, wie !“
Weber schrieb am 31.8.1933 an Erich Sperling (Anm. 101), der ihn offenbar um die Teilnahme an der Ausstellung „Neue Deutsche Kunst“ in Braunschweig gebeten hatte: „Ich möchte ja glauben, daß das nur einer gesunden deutschen Kunstentwicklung (das Geben wie auch zumal das Empfangen) [dient,] das dem nichts mehr im Wege steht - ist doch das Volk erwacht und auf dem Wege zu den Quellen - und an seiner Spitze ein Mensch, von dem man als Staatsmann und als Künstler das allerbeste erwartet - also werden sich wohl die deutschen Künstler in absehbarer Zeit vor Aufträgen nicht retten können - oder? - nun - ich bin noch genau so kritisch wie vor dem und man frage mich nicht - wie ich zu dem Stil - dem Geschmack von heute stehe - das steht ja auf einem ganz anderen Blatt.“
Niekisch reiste für seine politische Sache in den 30er Jahren nahezu in ganz Europa umher. Weber begleitete ihn 1935 nach Süditalien, wobei die Kosten von einem Gutschein über 1.000 Reichsmark bestritten wurden, den Weber von Toepfer erhielt. „Im Sommer 1935 machten Weber, der Regierungsrat Tröger und ich eine Autofahrt durch Italien. Beim Übergang über die Grenze stahlen die italienischen Zollbeamten Weber den Rucksack mit den Malutensilien. In Bozen machten wir halt, um das Material für den Maler neu zu beschaffen. Von Bozen aus nahmen wir unseren Weg über Trient, Gardasee, Verona, Modena, Florenz, Volterra, Siena, Orvieto, Viterbo nach Rom.“ (Anm. 102)
Niekisch nutzte die Gelegenheit, in Rom eine Audienz bei Mussolini zu erbitten, die ihm auch gewährt wurde, und diskutierte mit dem Führer der italienischen Faschisten fast eine Stunde über die Politik Hitlers. Außerdem traf er den Publizisten Italo Tavolato, der Weber so beeindruckte, daß er ihn porträtierte. (Anm. 103) „Von Rom begaben wir uns nach Neapel und Sorrent, besuchten von dort aus Capri, Pompeji, den Vesuv und schließlich Paestum. In vollen Zügen genoß Weber die Herrlichkeiten Italiens. Für Paestum hatte er große Vorsätze gefaßt. Die alten griechischen Tempel sollten ihm auserlesene Motive schenken. Lange war er unschlüssig, was er auf die Leinwand bringen sollte. Tröger und ich sagten, wir wollten ihn nicht stören und zögen vor, ein Bad zu nehmen. Wir ließen ihn mit dem Tempel allein und fuhren an eine entlegene Stelle der Küste. Als wir zurückkehrten, trafen wir Weber weder in der Ruine selbst noch in deren unmittelbarer Umgebung. Lange suchten wir ihn, endlich entdeckten wir ihn auf einer kümmerlichen Wiese vor seiner Staffelei. Was aber war es, was er in Paestum malte? Es war ein kleines, possierliches Eselchen. Herzlich lachten wir darüber, daß er nach Paestum gefahren sei, um einen Esel zu konterfeien. Die Rückfahrt ging über Perugia, Ferrara und Venedig. Da Webers Mutter gestorben war, fuhren wir rascher als beabsichtigt nach Deutschland zurück.“ (Anm. 104)
Eine der letzten Publikationen des Widerstands-Verlages, war ein Buch über die Person und das Werk A. Paul Webers, auf das später noch genauer eingegangen werden soll. Mit der Herausgabe des Buches und den damit verbundenen Streitigkeiten mit Niekisch, vor allem aber auch mit dem Verbot der beiden Zeitschriften „Widerstand“ und „Entscheidung“ begann das Interesse Webers am „Widerstandskreis“ nachzulassen. Niekisch erinnerte sich: „Anfang 1936 hatte ich den Eindruck, daß sich Weber von der Widerstandsarbeit distanzierte. Er mochte für seine große Familie Sorge tragen. Weber kam nicht mehr nach Berlin, die Briefe wurden seltener, und ihr Ton begann mir zu mißfallen.“ (Anm. 105)
Am 2.2.1947 berichtete der immer noch verletzte Weber in einem Brief an seinen Freund Theo Schneider (Anm. 106) von dem Zerwürfnis mit Niekisch. Die vielen Unterstreichungen machen deutlich, wie sehr das Thema ihn immer noch berührte. Er bezog sich dabei auf Briefe, die Niekisch damals an den Widerstands-Gefährten Joseph Drexel geschrieben und in denen er sich bereits abschätzig über Weber geäußert hatte: „Ich habe da wirklich keine - aber auch nicht die geringsten Bedürfnisse mehr - die eigene Überheblichkeit [Niekischs] und die Geringschätzung meiner Person, zumal der Leistung - das sehe ich ganz gelassen - ... aber als ich dann die Briefe las, die wirkliche Einstellung zu kosten bekam, da ist für immer etwas zu Bruch gegangen ... wessen Verdienst ist es eigentlich, daß er - daß wir noch am Leben sind? Es bleibt sträflich - mit welcher Einfalt der Kreis ans Messer geliefert wurde - wirklich kein Ausweis - politisch führend befähigt zu sein. Aber nur keine Illusionen - aus Selbstschätzung - weil wir damals selbstlos im besten Glauben lebten - wo haben wir in dem Ablauf einmal spürbar unsere Hand dazwischen gehabt !! Es ist schon was - Bescheid zu wissen. Für sich weit in der Erkenntnis zu sein - im politischen aber fängt es erst an - etwas zu sein, wenn es sich praktisch auswirkt - von nun an bleibe ich allein - nur meinem Schaffen verhaftet.“
Die Jugendherbergen von Alfred Toepfer
1928 stiftete der Hamburger Großkaufmann Alfred Toepfer (Anm. 107) für 100.000 Reichsmark (Anm. 108) drei Jugendherbergen in den deutschen Grenzgebieten Nordschleswig, Thüringen und im Burgenland. Er wollte damit die Grenzpolitik der bündischen Bewegung unterstützen, empfand zugleich den Wander- und Jugendherbergsgedanken als „schön, wertvoll und volksverbindend ... darum will die Herberge auch dem ganzen Volk dienen ... und der Verpflichtung gegenüber den entrissenen Volksteilen Ausdruck sein ... um mit dem Herzen wiederzugewinnen, was an deutschem Land verlorenging.“ (Anm. 109)Toepfer beauftragte Weber, den er im „Widerstandskreis“ um Ernst Niekisch kennengelernt hatte, mit der künstlerischen Ausstattung und ließ drei je 20seitige Broschüren über die Herbergen verfassen. Weber entwarf hierfür die Titelblätter und sogar Exlibris mit der schwarzen Fahne der Landvolkbewegung für die Bibliotheken. (Anm. 110) Die künstlerische Qualität der über 70 Ölgemälde zur Ausgestaltung war höchst unterschiedlich. Während die Porträts der Namensgeber sehr qualitätvoll ausgeführt waren, handelte es sich bei vielen der großformatigen Gemälde um Wand-Dekorationen, die bestimmte, inhaltlich vorgegebene Programme zu illustrieren hatten. Auch darf nicht vergessen werden, welche Anzahl von großformatigen Bildern Weber in kurzer Zeit neben zahlreichen anderen Aufgaben zu bewältigen hatte. Eine derartig umfangreiche künstlerische Ausgestaltung bei einer Jugendherberge überraschte die Zeitgenossen und man verstieg sich zu höchsten Lobgesängen auf den Künstler: „Der Maler A. Paul Weber schuf ... unvergängliche, im besten Sinne moderne, junge, deutsche Kunst. Ja, unvergänglich, zeitlos, ..., da die Kunst aus innerer Ergriffenheit und Schau geboren ist und, erhaben über allem Beiwerk und Effekthaschen stehend, ein Seelenbekenntnis offenbart, wie es nur reiner, klarer und ganz großer Kunst eigen ist, wie es uns in glücklichen Stunden gleichsam in den hellen Augen eines Kindes begegnen kann.“ (Anm. 111)
Die Jugendherberge auf dem Knivsberg
Am 6.4.1931 wurde nach acht Monaten Bauzeit die Julius-Langbehn-Jugendherberge auf dem Knivsberg in Nordschleswig bei Apenrade (Dänemark) eingeweiht. Sie wurde nach dem Philosophen Julius Langbehn (1851-1907) benannt, der unweit vom Knivsberg, in Hadersleben, geboren wurde. Er war vor allem durch sein Werk „Rembrandt als Erzieher“ bekannt, das ihm die Bezeichnung „der Rembrandtdeutsche“ eingetragen hatte. In seiner Zeitkritik sah er das Deutschtum gefährdet. Langbehn war auch damals schon nicht unumstritten, da seine Theorien von einem mythischen, biologisch-rassistischen Volkstumsbegriff mit Großstadtfeindlichkeit und Blut-und-Boden-Romantik durchsetzt waren. Die Namensgebung ging auf Toepfers Wunsch zurück, der den Bau der Jugendherberge - zunächst anonym - mit 33.000 Reichsmark unterstützte. Weber malte ein Porträt Langbehns für die Eingangshalle und benutzte dabei ein Gemälde von Wilhelm Leibl als Vorlage. (Anm. 112)
Toepfer bescheinigte dem Pastor und Abgeordneten Johannes Schmidt-Wodder: „Es gibt kein Grenzland, in dem das Deutschtum so vorbildlich durchorganisiert ist und so zusammensteht und es gibt auch kein Grenzland, in dem die Liebe und der Wille zum Reich so eindeutig und so ehrlich zum Ausdruck kommen, wie in Nordschleswig.“ (Anm. 113)
Weber berichtete am 29.4.1931 Andreas Probst: „In den letzten Monaten arbeitete ich an 15 größeren Ölbildern für die neue Jugendherberge ... einen Sammelpunkt der Deutschen im abgetrennten Gebiet.“ Er schuf insgesamt 28 Ölgemälde für das Haus. Die querformatigen, großen Städteansichten und Landschaften aus dem deutschen Sprachraum und der im 1.Weltkrieg abgetrennten Grenzgebiete schmückten den Hauptraum (Abb. 149): Danzig, Memelland, Thorn, Oberschlesien, Prag, Brügge, Tondern, Malmedy, Südbelgien, Vogesen. Siebenbürgen (Abb. 150), Wien, Burg Runkelstein in Südtirol, die Dolomiten und Straßburg. Die Bilder waren lehrhaft-sachlich gehalten, beschworen jedoch in ihrer oft trutzigen Wirkung die alte kulturelle Einheit. In einem Brief Webers an Heinrich Bodenstein erläuterte er: „Herr T. [= Toepfer] will statt Südtirol Wien da haben. Ich denke aber, die abgetrennten Gebiete mit den Deutschen unter fremder Herrschaft gehen hier vor - also Südtirol.“
Weiterhin entstanden für die Schlafräume typisierte Figuren einzelner Berufsgruppen, wie Zimmermann, Bauer, Kaufmann, Student, Seemann und Bergmann. Hinzu kamen zwei hochformatige nordschleswiger Landschaften, der Hoyer-Kanal (Abb. 151) und die Gjenner Bucht bei Barsö, die beide eine heiterere Grundstimmung vermitteln als die Ansichten der Grenzgebiete.
Der in Nordschleswig beheimatete und dort bei der deutschen Bevölkerung sehr beliebte Schriftsteller Hans Schmidt-Gorsblock (Anm. 114) schrieb in seiner Broschüre über die Jugendherberge: „Aus diesem unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Natur des Landes und seinen Menschen ist es zu verstehen, wenn gerade hier die Liebe zum Boden am stärksten zu sein scheint.“ (Anm. 115) ... „Dem Knivsberg war schon durch den Bismarckturm ein äußeres Zeichen der Sammlung gegeben. Durch die Herberge erhielt er einen Mittelpunkt, der einen wertvollen Gedanken verkörpert und ihm gleichzeitig praktisch dient.“ (Anm. 116) Mit Schmidt-Gorsblock sollte Weber später eine tiefe Freundschaft verbinden.
Die Jugendherberge in Schwarzburg
Am 28.8.1932 wurde die Hans-Breuer-Jugendherberge in Schwarzburg (Thüringen) eingeweiht (Abb. 152). Hans Breuer (1883 - 1918) war ein bekannter Wandervogel und Herausgeber des berühmten „Zupfgeigenhansls“ gewesen. Er hatte in Thüringen als Arzt praktiziert und fiel im 1.Weltkrieg nach freiwilliger Meldung und Einsatz als Bataillonsarzt. Nicht als Wandervogel, sondern in dieser Funktion malte Weber ihn für den Flur der Jugendherberge (Anm. 117) (Abb. 153). Kutzleb schrieb dazu in der Broschüre über das Haus: „Der Maler Weber hat Breuer in diesem seinem Beruf im Felde ... angepackt, in tiefem Verständnis für das Wesen Breuers.“ (Anm. 118)
Von den etwa 30 weiteren Ölgemälden sind nur noch vier erhalten. Sie wurden von einem Wandervogel auf seiner Flucht vor der Roten Armee mitgenommen und später dem Archiv der deutschen Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein übergeben. (Anm. 119) Die Gemälde zeigen einen Wanderer, der mit einem Bergbauern vor einer Hütte sitzt, den Tanz um ein Sonnwendfeuer, die Rückansicht eines Wanderers vor weiter Landschaft (Abb. 154) und vier Wanderer bei der Rast. Durch farbige Postkarten, die damals eigens für die Jugendherberge gedruckt wurden, sind weitere Motive bekannt: Ein ruhender Wanderer (Anm. 120), ein Mädchen beim Kochen am Lagerfeuer (Anm. 121) (Abb. 155), ein Junge vor einem Grab („Verpflichtung“) und „Der Auszug“ der freiwilligen Kriegsteilnehmer aus der Organisation des Wandervogels, zu dem eine Kohle-Skizze (Abb. 156) wenig später in der ersten Monographie über Weber abgebildet wurde. (Anm. 122)
Durch die hohen Kriegsverluste läßt sich das künstlerische Gesamtprogramm nur noch anhand der Textquellen nachvollziehen - es war ein Denkmal für Hans Breuer und die gefallenen Wandervögel des 1.Weltkrieges: „Der Tagesraum ... ist bekränzt mit einer Reihe von Wandbildern, worin die ganze Fahrtenfröhlichkeit ... versammelt ist, Reihentanz und Sonnwendfeuer, Bad im Wildbach und Rast im Schattenwald, Lied auf Berggipfeln und fröhliche Einkehr. Aber das letzte in der Reihe führt bereits hinaus aus dem heiteren Jugendreich ... : Das Heer der jungen Feldgrauen windet sich in schwerem Ernst über Berg und Tal in eine umdüsterte Ferne. Wer nach diesem letzten Bilde ... den Saal verläßt, der muß darauf gefaßt sein, den Bildern der Toten zu begegnen.“ (Anm. 123) In den 14 Schlafzimmern war nämlich je ein Porträt eines gefallenen Wandervogels aufgehängt. „Begleitet sind die Bildköpfe durch kleinere Motive, schwarzweiß zumeist, aus dem Weltkrieg, in der Art, wie Weber ihn sieht, als die Bühne einer ungeheueren Apokalypse.“ (Anm. 124)
Kutzleb, den Weber bei der Einweihung traf (Abb. 157), schrieb in seiner Broschüre: „Soll die Herberge auf dem Knivsberg ... die Brücke zum Deutschtum jenseits der Nordgrenzen schlagen, soll die Herberge von Bernstein im Burgenlande, ... die Pforte zu den weitverstreuten Volksgenossen im Donaulande öffnen, so ist die Breuerherberge ... das Haus der Mitte im Reiche der Deutschen, ist es der Stätte und dem Geiste nach.“ (Anm. 125)
Auch hier erstreckte sich der Auftrag für Weber nicht nur auf die rein künstlerische Ausstattung. An Heinrich Bodenstein schrieb er: „Ich war nun schon zweimal wieder in Schwarzburg ... ich habe alle Farbgebungen ausgeführt, dem Tischler die Entwürfe für Türen, Tische, Bücherschrank ausgehändigt, Anstriche der Fenster kontrolliert u. sofort.“
Die Jugendherberge in Bernstein
Auch die dritte Herberge Toepfers wurde einer bedeutenden Persönlichkeit der betreffenden Region gewidmet: Joseph Haydn. Die Grundsteinlegung erfolgte am 200. Geburtstag des Komponisten; die Einweihung konnte nach gut einem Jahr Bauzeit am 23.4.1933 gefeiert werden. Das Porträt Haydns, das Weber auch hier für den Flur malte, ist verschollen, wieder überliefern Postkarten einen Eindruck davon.
Heinrich Bodenstein schrieb in seiner Broschüre über die Jugendherberge: „ ... atmet das Herbergswerk in der Weber’schen Ausgestaltung - und dazu gehört einfach alles, was wir anschauen und uns im Innern entgegentritt, also die Bilder, die Täfelung, die Lampen, die Möbel usw. und die Farbgebung schlechthin - Festigkeit, Geradheit, Geschlossenheit und Trutz und eine fast unbändige Glaubens- und Liebeskraft.“ (Anm. 126)
Das Bildprogramm griff erneut die Grenzland-Thematik auf, diesmal jedoch in einer anderen Form als auf dem Knivsberg: Die 14 Ölbilder des Tagesraumes (Abb. 158) zeigen hier Szenen, welche die abgetrennten Gebiete oder Grenzgebiete des Deutschen Reiches versinnbildlichen: Südtirol, Steiermark, Kärnten, Burgenland und Wachau aus der näheren Umgebung, aber auch Banat (am Südostrand der Ungarischen Tiefebene), Siebenbürgen, Flandern, Friesland, Nordschleswig und Oberschlesien (Abb. 159). Beim letzten Motiv wird die Intention besonders deutlich: Ein Schlagbaum durchschneidet das Bild und trennt die Menschen.
Für die jeweils zugehörigen Trachten der Figuren trieb Weber umfangreiche Recherchen. Er schrieb am 16.2.1933 an Hans Schmidt-Gorsblock: „Ich will für den Tagesraum der Haydn-Herberge in Bernstein Nordschleswiger Tracht aus dem abgetrennten Gebiet bringen ... ich bringe also die Vertreter der verschiedenenen Landschaften in Lebensabschnitten - In dem Buch „Nordschleswig“ von Theodor Möller sind ja ein paar Frauen in Tracht abgebildet ... Was würden Sie also mir raten - und könnten Sie mir auch bei den Trachten Unterlagen mit Farbangaben besorgen.“
Trotz seines stark nationalen Standpunktes schenkte Toepfer als Chef einer großen Import- und Export-Firma den internationalen Konstellationen größte Aufmerksamkeit: „‘Wir Deutschen sind den müden Völkern Europas den europäischen Wiederaufbau schuldig.’ Toepfer sprach dabei nicht von einer Vorherrschaft des Deutschen Reiches, sondern von einem ‘europäischen Staatenbund’ mit ‘weitgehend kultureller Autonomie’ der einzelnen Staaten.“ (Anm. 127) Die Stirnseite des Raumes zierte ein Triptychon mit vier Wanderern im Zentrum, flankiert von Allegorien der Arbeitslosigkeit und des Flüchtlingselends, die gleichzeitig auch die politische Hoffnungslosigkeit darstellten.
Die weitere Ausgestaltung des Hauses wurde, dem Namensgeber angemessen, durch 16 Holzschnitte mit den Porträts deutscher Musiker vervollständigt. Die 50 x 40 cm großen Bilder hingen zusammen mit Notenzitaten in den Schlafräumen und wurden 1933 als Mappe „Deutsche Musiker“ und auch als Postkarten-Serie (Abb. 160) herausgegeben. (Anm. 128) Die Blätter halten qualitativ einem Vergleich mit früheren Holzschnitten Webers nicht stand. Man spürt deutlich eine gewisse Routine, die Erfüllung einer lästigen Pflicht. Dies geht auch aus einem Brief vom 17.2.1933 an Hans Grote hervor: „Die Arbeit bleibt eben doch zum Teil Auftrag - ohne diesen - ich glaube nicht, daß ich die 16 Köpfe geschnitten hätte.“ Weiterhin beklagte sich Weber in dem Brief, daß er für die Recherchen nach geeigneten Vorlagen so viel kostbare Zeit verbraucht habe, zumal Toepfers Auftrag das Thema auch noch einenge: „Allerdings das Übel dabei ist - daß das nur deutsche Musiker sein sollen - Sie werden wohl über diese Einengung lachen - aber ich bin hier - trotz meiner Stimme - nicht der maßgebliche Spender.“ (Anm. 129) Toepfer nahm auch hier Einfluß auf das Bildprogramm und stellte Weber den Musiklehrer und Chorleiter Heinrich Schumann als Berater zur Seite.
Die Arbeiten der Ausgestaltung wurden erst in letzter Minute fertig. „Als die ersten Ehrengäste kamen, bin ich hinten zum Fenster rausgeturnt.“ (Anm. 130) Toepfer war jedoch mit dem Ergebnis höchst zufrieden und forderte Weber bei der gemeinsamen Rückreise im Zug auf, einen Reisewunsch zu äußern. Auf einer Papierserviette wurde sofort eine Reiseroute durch Flandern nach Brüssel festgehalten. (Anm. 131)
Nach der Besetzung des Burgenlandes am Ende des 2.Weltkrieges veranstalteten russische Soldaten ein Probeschießen auf die Ölgemälde, die später vom Dorfschullehrer notdürftig restauriert wurden. Dennoch gibt der Tagesraum noch heute einen Eindruck von der ursprünglichen Wirkung der Weberschen Gestaltung.
Die Betonung der abgetrennten deutschen Gebiete kam auch in der Mappe „Grenzland“ (Anm. 132) mit neun Holzschnitten Webers zum Ausdruck, die 1932 - sicherlich mit ausdrücklicher Billigung Toepfers - entstand. Sie wurde vom „Deutschen Grenzkampfbund“ herausgegeben und im Widerstands-Verlag Berlin verlegt. Die Bilder - als lose Blätter zum Aufhängen gedacht - sollten den harten Kampf der Grenzlandbewohner, besonders der Bauern, gegen die feindliche Natur, kulturelle Widrigkeiten und Aggressoren zeigen. Die Vorzugsausgabe enthielt Original-Holzschnitte, die Normalausgabe gleichgroße Abbildungen davon. Im Vorwort von Heinz Baethge hieß es: „Grenzkampf ist Wille zur Freiheit und Herrschaft; es geht ihm um die Unversehrtheit des geistig-seelischen Heimatbereiches, des Arterbes aus Urvätertagen und um die Freiheit und Weite der bluterfüllten, erdhaften Heimat.“ Die Bildtitel entsprachen diesem programmatischen Ansatz: Hauschronik - Vor 700 Jahren - Wider die Flut - Heimat - Harte Jugend - Der Überfall - Die Grenze - Abgeschlagen - Das Ende. Das Blatt „Die Hauschronik“ (Abb. 161) wurde im Deutschen Volkskalender Nordschleswig von Hans Schmidt-Gorsblock besprochen: „Von Sorgen und Freuden, von Niederlagen und Erfolgen eines wirksamen Geschlechts wird die Hauschronik berichten. Von Traditionen reden die Bilder an den Wänden der Bauernstube, von sicherem Wohlstand früherer Zeiten das Hausgerät. Doch in dem nachdenklichen und fast verkniffenen Gesicht des Bauern brütet am schwersten die Sorge um die Zukunft, und seine Faust krampft sich um die Feder, die schreiben müßte von Not und Niedergang.“ (Anm. 133)
In der monatlichen Folge „Die junge Kunst“ in „Niederdeutsche Welt“ war zu lesen: „In seinem ... Holzschnittzyklus ‘Grenzland’ zeigt er in wuchtigen Bildern die Geschichte eines Geschlechtes im Grenzkampf. Weber hat diese Schnitte schlicht in der Auffassung gegeben, daß sie auch den einfachsten Menschen packen müssen. Artistische Reize und Raffinessen wird man hier vergeblich suchen, ... es ist, als würde im Latein unserer Zeit auf einmal Deutsch gesprochen.“ (Anm. 134)
Der Brümmerhof
Eine neue Wirkungsstätte, die Weber und sein Schaffen prägte, war der Brümmerhof bei Soltau in der der Lüneburger Heide. (Anm. 135) Weber wohnte dort von März 1933 bis zum Sommer 1936. Alfred Toepfer hatte den 260 Hektar großen, heruntergekommenen Hof 1932 erworben, mit dem Ziel, einen Musterbetrieb daraus zu machen. Er lud Weber ein, mit dessen gesamter Familie bei freier Kost und Logis im neuen Haupthaus, der sog. „Villa“ (Abb. 162), des umfangreichen Anwesens „als Dauergast“ zu leben. Das Haus wurde 1914 durch den Rittmeister von Goßler erbaut, während die Anlage selbst viel älter war - das alte Hauptgebäude (Anm. 136) stammte aus dem Jahr 1644.
Die wirtschaftliche Not dieser Jahre mit etwa fünf Millionen Arbeitslosen ging auch an der nunmehr sechsköpfigen Familie Weber nicht vorbei, zumal der Künstler bereits seit Anfang 1932 durch Zeitungsanzeigen und persönliche Kontakte auf Wohnungssuche gewesen war. (Anm. 137) Dies mag dazu beigetragen haben, daß Weber das Angebot, als „Hofkünstler“ Toepfers tätig zu sein, gerne annahm und zunächst glücklich über die wirtschaftliche Sicherheit und das „stille, ungestörte Schaffen“ war. Die ländliche Umgebung bot darüberhinaus ideale Bedingungen für die vier Kinder.
Für seinen Unterhalt und eine Spesenzulage von 250 Reichsmark monatlich hatte Weber die künstlerische Ausgestaltung des Brümmerhofes und der weiteren drei Höfe Toepfers zu übernehmen sowie andere Arbeiten in dessen Auftrag zu erledigen.
An Heinrich Bodenstein schrieb Weber im Juni 1933: „ ... bei uns geht es aufwärts - vorwärts ist besser - wir schwimmen nach den doch immerhin etwas knappen Zeiten im Geld - jawoll - ... - verkaufen Freiheit - stimmt! Außer diesem monatlichen Gehalt steht mir noch ein Dispositionsfond zur Verfügung - zur ganz freien Verfügung ...“ und an Schmidt-Gorsblock am 11.3.1934: „Sie wissen doch, daß der Hof mir alle Sorgen, zumal die Ernährung meiner Familie, ganz genommen hat. Ich bin so glücklich, nach liebster Wahl schaffen zu können, und brauche nicht Tag für Tag oder gar Woche für Woche mit meinem Pinsel oder Stift Geld zu verdienen.“
Sogar ein Hauslehrer für die Kinder konnte bestellt werden: Friedrich Stählin, ein im Fach Deutsch promovierter Studienassessor, den Webers Zeichnungen im „Widerstand“ beeindruckt hatten, stellte sich vor und wurde später aufgefordert, im März 1935 auf den Brümmerhof zu kommen. Stählin erinnerte sich: „Ich wurde erwartet, die Familie kam zum Vorschein: der Vater mit stillem Lachen, die Mutter mit offener Herzlichkeit, der 14jährige Christian, der die Dorfschule gerade abgeschlossen hatte, Ulrike mit braunen und „Müsche“ (Gertrud) mit blonden Zöpfen, 11 und 8 Jahre alt und „Mölle“ (Hartmut) erst 5. Für Christian und die beiden Mädchen sollte ich nun Hauslehrer sein.“ (Anm. 138) ... „Auf dem Brümmerhof war es still. Kein Lautsprecher, noch kein Fernsehen, kaum ein Telephon; nicht ein unnötiger Stimmaufwand, kein zorniger Vater, keine ärgerliche Mutter. Hier konnte Weber schaffen. ... Bücher, die ich für Christians Unterricht besorgt haben wollte, wurden anstandslos beschafft. Nur gegen Günthers Rassenkunde legte Weber ein ruhiges und entschiedenes Veto ein. Das war übrigens die einzige Meinungsverschiedenheit, an die ich mich erinnere - und recht hatte er. Aber das ging mir erst später auf.“ (Anm. 139) (Abb. 163)
Wie Weber war auch Toepfer durch seine Jugenderlebnisse im „Wandervogel“ geprägt. Toepfers Haltung in der Rückbesinnung auf grundlegende Werte stimmte zunächst mit der Webers überein: Man suchte im Landleben eine elementare Ursprünglichkeit, die man als Wesenseigenheit des Deutschen schlechthin ansah. Gleichzeitig wandte man sich gegen eine Überfremdung, die man vor allem in den Städten zu erkennen glaubte (Abb. 164). Darüber hinaus wollte Toepfer den Zusammenhalt der Deutschen im Ausland fördern. Niederdeutsche, flämische und holländische Schriftsteller wohnten nach 1933 gelegentlich auf dem Brümmerhof. Die Pflege des Niederdeutschen hatte ein großes Gewicht; z.B. fanden Tagungen des Niederdeutschen Seminars der Universität Hamburg statt.
Weber leitete in Zusammenarbeit mit dem Verwalter Otto Winkelmann die bauliche Instandsetzung des Hofes und entwarf sogar Ställe, wobei der Einfluß Toepfers stets spürbar war und dieser sich die Genehmigung für jedes Detail vorbehielt. Weber schrieb am 15.5.1934 an Georg Grote: „Hier sind nach dem Saustall eine Eberhütte und ein Hühnerhaus 12 x 15 m! entstanden - alles mein Stolz!“ (Anm. 140) Für den Weideschuppen zeichnete Weber am 27.9.1935 einen behördlich genehmigten Bauplan, den er als „Architekt“ unterschrieb (Abb. 165).
Weber schrieb am 2.9.1933 an Schmidt-Gorsblock: „ ... ich habe noch nicht gelernt, mich mit meinen Kräften zu bescheiden, und nur oder gar kaum die Hälfte von dem, was ich mir vornehme, nimmt Gestalt an und wird gut fertig - nun - der Umzug und die Instandsetzung des Hauses - des alten Hofes nahm zunächst alle Zeit für sich in Anspruch und tut das heute noch. Wer sich auch mit Herrn Toepfer einläßt - mit ihm zu schaffen - der kann über Arbeitsmangel nicht klagen. ... so entwerfe ich ganze Zimmerausstattungen für bessere Menschen, Leutestuben - Haustüren - Tore - male, wo es hinpaßt - Bilder an die Wände und schnitze auch mal Köpfe für Gartenzäune, Tore, Treppen - ebenso liegen mir Beschläge zu Türen und Möbeln am Herzen wie auch Erdbewegungen und Bäume pflanzen oder vernichten ... Noch nie war die gesamte Familie so eng mit dem Land - dem Boden zusammen wie jetzt ...“
Der Gestaltungswille von Toepfer und Weber war umfassend: nicht nur Bilder (Ölbilder bekam Weber gesondert vergütet - allerdings nur mit 100 Reichsmark statt geforderter 200) und Inneneinrichtung, sondern auch Türen (Abb. 166), Alkoven, Pfosten, Kinderwiegen, Kerzenhalter, Lampen, den Meißner Kachelofen in der Dönz, Schlösser und Schlüssel - ja sogar Stoffmuster (Abb. 167) entwarf Weber, die von einer eigens eingestellten Weberin vor Ort gefertigt wurden.
Das A. Paul Weber-Museum Ratzeburg bewahrt über 150 Skizzen (Anm. 141) - meist Kohlezeichnungen - mit Entwürfen für rustikale Möbel (Abb. 168 und 169), Beschläge, Lampen, Wanduhren etc. für die Höfe Toepfers. Penibel vermerkte Weber auf vielen Skizzen Maßangaben und gab ausführliche Anweisungen für die Handwerker. Die Möbel wurden von der Firma Anton Hestermann in Wietzendorf nach Webers Entwürfen gebaut. Der Kontakt war so eng, daß Weber auch Möbel für das Büro der Tischlerei entwarf, darüber hinaus Signets. Außerdem porträtierte er den Tischlermeister in einem Ölgemälde.
Knechte und Mägde auf Toepfers Höfen erhielten ein Ehestandsdarlehen, wenn sie sich verpflichteten, für ihre neue Wohnungseinrichtung ausschließlich von Weber entworfene Möbel zu verwenden, die man als handwerklich solide und geschmackvoll im Sinne von „Volkskunst“ ansah. Weber lag diese Arbeit sehr am Herzen. Noch 1937 entwarf er während seiner Haftzeit in Nürnberg zahlreiche Schränke und Truhen in diesem Stil. Wichtig war ihm die ländliche, vermeintlich „bäuerliche“ Form im Gegensatz zum „städtischen“ Charakter, ganz im Sinne der Ideale des Wandervogels. Schmuckformen wie Fächerrosetten, Sonnenräder und Tulpen erinnern an „altdeutsche“ Formen, die bis auf germanisches Formgut - oder was man dafür hielt - zurückgriffen. Sogar der Schweinestall auf dem Brümmerhof bemühte germanische Vorbilder (Abb. 170). Das Verständnis Webers für die bäuerliche Form blieb jedoch akademisch, im Sinne der Zeit „kunsthandwerklich“ geprägt. Die apotropäisch die Zunge bleckenden Masken (Abb. 171), die Weber für die Pfosten der Treppenaufgänge schnitzte, wurden lange Zeit - in Unkenntnis ihrer Urheberschaft - für wesentlich älter gehalten. Auch eine der Türen wurde von Experten auf 1830 datiert, bis eine Entwurfszeichnung Webers Urheberschaft belegte.
Daß er sich über den registerartig zur Verfügung stehenden „ländlichen“ Formenschatz nach Belieben hinwegsetzen konnte und auch in diesen Bereich Motive seines kritischen Werkes einfließen konnten, zeigt eine Truhe im A. Paul Weber-Museum Ratzeburg, deren Seitenteile mit höchst kuriosen Figuren geschmückt sind: Ein Ungeheuer im Schafspelz, mit skelettiertem Riesenschädel und Bischofsmitra hält einen Menschen in den Klauen; die andere Seite zeigt ein vogelartiges Geschöpf mit einem Geldsack - politische Satiren auf Katholizismus und Kapitalismus an einem hierfür höchst ungewöhnlichen Ort.
Auch die anderen Höfe Toepfers in Thansen, Siggen und Kalkhorst wurden in dieser Zeit von Weber ausgestattet, ebenso das VDA-Haus (Volksbund für das Deutschtum im Ausland) in Hamburg mit Wappen abgetrennter Gebiete und Städte, das „Haus der Studentenhilfe“ (Anm. 142) in Hamburg mit drei Gemälden, weiterhin die Jugendherberge in Bernstein, u.a. mit den umfangreichen Holzschnitt-Zyklen „Deutsche Musiker“ und „Grenzland“. Der traditionellen Technik des Holzschnittes bediente sich Weber auch oft für die zahlreichen anderen gebrauchsgraphischen Arbeiten, die er für Toepfer und dessen Unternehmungen zu leisten hatte. (Anm. 143) Hier standen vor allem die Stiftungen Toepfers (Anm. 144) im Vordergrund, der ab 1926 mit einer regelmäßigen Förderung zugunsten von Schriftstellern, Jugendbüchereien und dem Jugendwandern - u.a. durch die Stiftung von insgesamt fünf Jugendherbergen - begonnen hatte. 1931 gründete er die „Stiftung J.W.G.“ in Vaduz und die „Stiftung F.V.S.“ in Hamburg. 1931 entstand für erstere ein Holzschnitt Webers mit dem Profilkopf Johann Wolfgang von Goethes, 1932 entwarf er ein Schiff für das Titelblatt der Satzung der F.V.S.-Stiftung (Anm. 145), die mit einer Weber-Zeichnung schloß - dem Leuchtturm von Neuwerk vor den Toren Hamburgs, den er auch für die Stiftung in Öl malen mußte. Es folgten Titelbilder, Signets, Exlibris und Vignetten - meist Holzschnitte - für die Satzungen und Urkunden der diversen weiteren Stiftungen und der von ihnen vergebenen Preise, u.a. mit Porträts der Namenspatrone Kopernicus, Joseph von Görres, Henrik Steffens, Prinz Eugen von Savoyen, Herder, Mozart, Shakespeare und Rembrandt. Von den Genannten schuf Weber zusätzlich Porträts als Rötelzeichnungen, die - als Drucke vervielfältigt - den Preisträgern anläßlich der Preisverleihung bei einem Festbankett überreicht wurden.
Toepfer erinnerte sich in einer Rede anläßlich des 50jährigen Jubiläums der F.V.S.-Stiftung am 28.3.1982: „1934 kam es zu Spannungen zwischen der NSDAP und der Führung des Deutschen Jugendherbergswerkes. ... Das veranlaßte mich, die schon verfügte Stiftung einer sechsten Jugendherberge zu widerrufen und den Plan, weitere Jugendherbergen zu bauen, aufzugeben. Stattdessen wurden 1935 durch die Hamburger Stiftung, die regelmäßig auch an zwei junge Deutsche verliehenen Zwei-Jahres-Stipendien der Cecil Rhodes Foundation in vollem Umfang für Briten erwidert und zehn Kulturpreise zur jährlichen Verleihung für das deutsche Sprachgebiet in Europa sowie für Skandinavien, Großbritannien und den niederländischen Kulturraum zur Verfügung gestellt. Seitens der NSDAP wurde die Stiftungsinitiative eines Nichtparteigenossen mit Mißtrauen verfolgt.“
Trotz der vielen Aufgaben für Toepfer fand Weber noch Zeit für andere, eigene Projekte wie das drei Meter große Luther-Bild für das Gemeindehaus in Gera im Juli 1933, die im Krieg zerstörten Wandbilder in der Mensa des Heimes der Hamburger Studentenhilfe oder 1934 die umfangreiche Ausmalung des Homöopathischen Kabinetts der Löwenapotheke in Göttingen. Weiterhin schuf er mit ausdrücklicher Billigung Toepfers zahlreiche Illustrationen für die Publikationen des Widerstands-Verlages, vor allem für die Zeitschrift „Widerstand“. Weber schrieb an Heinrich Bodenstein am 12.8.1933: „T.[= Toepfer] will ja - daß ich das alles abstoße (außer Wid. [= Widerstand] ) und mich nur ganz großen ... Aufgaben widme. Er will partout der Mäzen eines großen vielverheißenden Künstlers werden - er will mich jedenfalls dazu machen - das ist auch ein ganz ordentlicher Gedanke und ich werde schon nicht daran kaputtgehen.“
Selten gab Weber sich mit einem ausgeführten Werk zufrieden, sondern suchte stattdessen stets nach noch besseren Bildlösungen. Der Hauslehrer Stählin erinnerte sich an Webers Arbeitsweise:
“Folgenreicher noch als meine Lektüre war die tägliche Anschauung eines schaffenden Künstlers und seiner Arbeiten. Sie erlangten in diesen frühen Jahren oft nicht gleich die Gestalt, die den Zeichner befriedigt hätte. Dann wurden neue Ansätze, ein neuer Anlauf nötig. So gab es zu manchem Thema eine ganze Reihe originaler Entstehungsblätter, meist Federzeichnungen. Nicht immer erschien dem Laienblick die spätere Fassung als die bessere ... Weber war dabei durchaus ansprechbar und gab auf meine Zweifel und Einwände, mein Warum haben Sie das geändert? Es war doch so schön! bereitwillig Antwort, ohne seinen Stift ruhen zu lassen. Die Antwort kam langsam und bedächtig, halblaut und wohlüberlegt.“ (Anm. 146)
Bei all den vielfältigen Aufgaben fand Weber aber auch Zeit für Spaßiges am Rande: So baute er einen weit überlebensgroßen Schneemann, der Toepfer karikiert, aber physiognomisch leicht erkennbar, in Anzug und Krawatte darstellte (Abb. 172).
Der Brümmerhof war für Weber auch ein geistig anregender Ort. Der Hauslehrer erinnerte sich: „ Webers Bücher waren mir immer zugänglich. Da standen viele andere Sachen als bei anderen Leuten. Z.B. spanische Schelmenromane, oder Noldes Selbstbiographie, und natürlich viele Kunstbücher, Namen, von denen ich kaum gehört hatte. Weber kannte erstaunlich viel. Und nahm er neue Themen in Angriff, versorgten ihn seine Freunde, großenteils Mitarbeiter Toepfers, mit Literatur .... Er war ein staunenswert belesener Mann - aber wann las er? Vermutlich, wenn wir anderen schliefen.“ (Anm. 147) Geistige Anregung kam auch von außen: Zahlreiche interessante Gäste hielten sich auf dem Brümmerhof auf, der auch ein Treffpunkt für die Mitglieder des „Widerstandskreises“, z.B. für Ernst Niekisch, Otto Petras, Joseph Drexel, Karl Tröger sowie Ernst und Friedrich Georg Jünger, war. Die beiden Jünger-Brüder malte Weber dort beim Schachspiel (Abb. 173).
Im Herbst 1934 fand ein Treffen des „Widerstandskreises“ statt - Weber entwarf hierfür die Tagungskarten. Niekisch hielt einen Vortrag über die Kunst Webers. Anschließend zog man sich in einen Nebenraum zurück: Tröger und Drexel hielten Referate über den Röhm-Putsch und die Korruption bei der NSDAP in Nürnberg. In seinen Erinnerungen beschrieb Niekisch das Unternehmen so: „Im Jahre 1934 regte ich Weber an, eine Ausstellung seiner Arbeiten auf dem Brümmerhof zu veranstalten. Auf diese Weise wollte ich Gelegenheit schaffen, eine getarnte Widerstandstagung durchführen zu können. Aus allen Teilen des Reiches, auch aus Danzig, trafen Widerstandsanhänger ein. Zur Tarnung unserer politischen Hinterabsichten hielt ich einen Vortrag über Webers künstlerisches Werk; zu dem Vortrag hatten wir auch Gutsangehörige und Bewohner der Umgebung eingeladen. Danach setzten wir Eingeweihten uns zusammen und erörterten unsere politischen Sorgen und Pläne.“ (Anm. 148)
Die anderen Höfe Toepfers
Der deutschen Landwirtschaft ging es seit der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre zunehmend schlechter - viele Bauern konnten ihre Höfe nicht mehr bewirtschaften und mußten verkaufen. 1932 erwarb Toepfers Stiftung F.V.S. vier landwirtschaftliche Betriebe, neben dem Brümmerhof Güter in Niedersachsen, Ostholstein und Mecklenburg, die mit hohem Aufwand und Kosten zu Musterhöfen mit vorbildlichen Sozialeinrichtungen umgestaltet wurden. Die Stiftung nutzte die Güter auch als kulturelle Begegnungsstätten.
Der Hof Thansen
Der bei Amelinghausen in der Lüneburger Heide gelegende Hof Thansen wurde von Toepfer 1933 für 600.000 Reichsmark, dem Fünffachen der Kaufsumme, instandgesetzt. Für das Germanische Seminar der Universität Hamburg wurden Tagungsräume geschaffen. In der „Niederdeutschen Diele“, die am 26.5.1935 eingeweiht wurde, tagte die „Arbeitsgemeinschaft aller Freunde des großen niederdeutschen Sprachgebietes“. Niederdeutsche, holländische und flämische Schriftsteller, u.a. August Borms, dessen Werk „Zehn Jahre im belgischen Kerker“ Weber 1930 illustriert hatte, waren auf Thansen zu Gast. Der Hof verfügte über eine erstaunlich große Bibliothek von über 4.000 Bänden, für die Weber ein Exlibris - gekreuzte Pferdeköpfe und ein Heidschnuckenschädel - entwarf, wie für die Bibliotheken der anderen beiden Höfe auch. (Anm. 149) Für die „Niederdeutsche Diele“ schuf Weber u.a. ein Glasfenster (Abb. 174), das im Mittelteil auf rotem Grund eine mittelalterliche Steinskulptur aus Gent zeigt, daneben aber auch in skurriler Weise humoristische Elemente enthält, wie den Fuchs, einen Frosch und einen Salamander, sowie unten mittig einen dicken Mann mit einer Melone auf dem Kopf, wohl eine Anspielung auf Großkapital und Börse. Im Umfeld der Arbeiten für Toepfers Höfe entstanden mehrere Glasfenster und zahlreiche Entwürfe zu solchen.
Die Ausstattung, die Weber für Thansen schuf, ist heute noch vor Ort erhalten: In der sog. „Toepfer-Stube“ stehen Bank und Stühle, Tisch, Ohrensessel mit den Initialen A T E (Alfred und Emma Toepfer), Deckenlampen, Sekretär, Kommode, Aufsatzschrank, Bücherbord, Truhe und Wanduhr - alles im einheitlichen, pseudoländlichen „Design“. An der Wand hängt ein Ölgemälde, das die Söhne Toepfers zeigt. Auch die Möbel des Schlafzimmers wurden komplett von Weber entworfen, ebenso Türen und Beschläge. Wandgemälde in der Diele zeigen Bauer, Händler, Fischer und Eulenspiegel. Auf dem Flur hängt eine Folge kleiner, kolorierter Federzeichnungen mit lustigen Typen von altertümlichen Landleuten.
Der Gutshof Siggen
Im März 1933 erwarb Toepfer das 630 ha große Landgut Siggen (bei Großenbrode) direkt an der ostholsteinischen Küste (Abb. 175). In der Kaufurkunde wurden auch die Richtlinien für den Betrieb festgelegt: intensive und fortschrittliche Bewirtschaftung, laufende Verbesserung des Bodens, der Gebäude und des Inventars, vor allem aber die vorbildliche soziale Betreuung der Mitarbeiter. Die Fürsorge Toepfers erstreckte sich u.a. auf den Bau von Arbeiterhäusern aus solidem Backstein mit fünf Räumen, Küche, Bad und sogar einem kleinen Garten. Auf den Gütern gab es eigene Betreuerinnen für die Kinder der Arbeiter, Sonderprämien je nach Ernteergebnis und monatliche Film- und Tanzabende. Die Größe des Hofes zeigte sich schon im Viehbestand: 200 Milchkühe, 24 Zugpferde, 25 Zuchthengste, 200 Mastschweine und 200 Schafe.
Weber stattete den Gemeinschaftsraum des Gesindes, die sog. „Burgstube“ (Abb. 176), mit Ölbildern aus, ebenso gehen der Kachelofen bis hin zu Details der Ofentür, Möbel und Beschläge auf Entwürfe Webers zurück. 13 Bilder zeigen Menschen als stellvertretende Typen für verschiedene Berufe; hinzu kommt eine Abschiedsszene zwischen einem Soldaten und seinem Mädchen. Als Zentrum an der Stirnseite des Raumes erscheint eine dreiteilige Bildfolge mit Kornhocken im großen Mittelbild, flankiert von Magd und Knecht mit Wasser und Brot in den schmalen Seitenbildern. Wasser und Brot als Symbole des christlichen Abendmahls sowie die Wahl dieser Bildform in Anlehnung an die Form des Triptychons mittelalterlicher Altäre mit Altarschrein und Seitenflügeln geben der Bildfolge eine sakrale Note, die nicht nur die Heiligkeit des Bodens, sondern auch die Hervorhebung des landwirtschaftlichen Berufes vor allen anderen dargestellten im Sinne der toepferschen Agrarromantik bewirken soll. Damit wird die Ehrung des Bauernstandes und somit auch eine soziale Aufwertung der Mägde und Knechte erreicht, für welche diese Stube gedacht war. In gleicher Art eines Triptychons entstanden zwei weitere Werke: Eines mit Knechten und Mägden bei der Rast, flankiert von Korngarben; ein zweites, das sich heute als Geschenk Toepfers im A. Paul Weber-Museum Ratzeburg befindet, zeigt im linken Flügel einen alten Knecht beim Schmauchen seines Pfeifchens nach der Mahlzeit, rechts eine Magd beim Spiegeleierbraten. Im Mittelbild sitzen eine Magd und ein Knecht und rasten während der Kornernte, wobei die leicht angedeutete Zudringlichkeit des Knechtes und der angebotene Krug durchaus an ländlich-derbe Genreszenen der niederländischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts erinnern wollen (Abb. 177). Mit einem großen Erntedankfest wurde die Gesindestube am 10.9.1933 feierlich mit Umzug und Musik den Arbeitern übergeben.
Im Nebenraum entstand eine kleine Bibliothek und - wie in Kalkhorst - eine kleine Jugendherberge. Weber malte darüberhinaus den Verkaufsladen des Hofes aus und schuf sogar das Ladenschild, ebenso wurde die „Fritz-Bargholz-Stube“ mit Bildern, Schnitzwerk und einem Kachelofen ausgestattet. Schließlich entwarf er auch Wegweiser, vom Holzbildhauer Wilhelm Baden aus Soltau geschnitzte Hausschilder (Abb. 178) und die Wetterfahne.
Der Künstler reiste für diese Arbeiten vom Brümmerhof aus oft nach Siggen und schrieb am 16.7.1933 an Heinrich Bodenstein: „Ich bin inzwischen oben auf dem 3.Gut gewesen - auf Siggen an der Ostsee - landschaftlich auch sehr schön - zumal die Baderei - ...“ und am 12.8.1933: „Sie dürfen nicht denken - daß hier ein geruhsames Leben herrscht! Es ist jetzt bald so eine Stimmung wie kurz vor Schwarzburg oder Bernstein - ich war in diesen Wochen schon zwei Mal in Siggen - dort steigt am 10. Sept. das Erntefest - dazu richte ich die Leutestube - die sog. Burgstube und einen Leseraum her - im Stil der Herbergen. Über 14 Tage habe ich weiter nichts getan, als Möbel (Abb. 179) entworfen ... gemalt habe ich auch schon - ein Meerblick in Siggen und das Haus ... Sie wissen ja - wie ich hier bei der Sache bin und wie wir uns trotz der vielen Arbeit wohlfühlen.“
Der Gutshof Kalkhorst
Im gleichen Jahr erwarb Toepfer auch noch das Gut Kalkhorst in Mecklenburg. Der geschäftstüchtige Kaufmann wählte die von ihm gekauften Höfe nach der Bodenqualität aus. Die Gebäude hingegen mußten oft erneuert oder gänzlich neu errichtet werden - wie hier in Kalkhorst. Für 750.000 Reichsmark wurden von dem Architekten Hans Münnichshöfer, einem Mitglied des Nürnberger „Widerstandskreises“, vor allem die Arbeiterwohnungen vergrößert und verbessert und einige Arbeiterhäuser in beispielhafter Weise neu gebaut. Im großen neugotischen Herrenhaus (Abb. 180) wurde 1935 ein Schulungs- und Tagungsheim für den „Volksbund für das Deutschtum im Ausland“ eingerichtet. Ursprünglich war eine Bauernvolkshochschule geplant, die aber 1934 von Walter Darré, dem Reichsbauernführer und Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, abgelehnt wurde.
Weber fiel die Ausstattung von 50 Räumen zu, die als Schulungs- und Tagungsheim dienten. Wieder kümmerte er sich um jedes Detail bis hin zu geschnitzten Hinweisschildern „Auffahrt“ (Abb. 181), „Zur Post“ und „Hier ward nich smökt!“ oder Exlibris (Anm. 150) für die umfangreiche Bibliothek. Das meiste der Ausstattung für Kalkhorst ist heute nicht mehr vorhanden, einzig an der Westseite des Herrenhauses befindet sich noch ein zwei Meter hohes Glasfenster „Deutsche Mutter, die Grenzen überschauend“ (Anm. 151). Im Tagungsraum hingen die für die Jugendherberge in Bernstein geschaffenen Holzschnitte „Deutsche Musiker“, im Sitzungssaal Rötelzeichnungen mit Porträts von Politikern vergangener Epochen wie etwa Perikles, Cäsar und Machiavelli, im Vortragssaal mindestens vier Ölgemälde deutscher Gewässer wie Weichsel, Rhein, Nordsee und Donau (Abb. 182). Weber malte diese Bilder auf Reisen vor Ort. Er berichtete am 20.2.1935 Walther Obermiller: „In Passau will ich die Donau malen - die Farbstudie für ein größeres Bild - ich bedauere, daß das Wetter nicht so schön bleibt ... zu Passau gehört weißblauer Himmel.“ Sechs weitere Ölgemälde hingen im Speisesaal - die Gesamtausstattung mag noch weit mehr umfaßt haben. Besonders beeindruckend soll ein - heute zerstörtes - Wandgemälde in der benachbarten kleinen Jugendherberge, dem „Freiherr vom Stein-Haus“, gewesen sein, das über dem Kamin in der „Blockhütte“ an der Decke die Sagengestalt des „Wilden Jägers“ darstellte (Abb. 183). Leider sind heute nur noch wenige Fotografien erhalten, die lediglich Teile des Gesamtbildes wiedergeben. Weber hatte sich hier, beeinflußt von Gottfried August Bürgers Ballade „Der wilde Jäger“ (1786), einem vor allem im 19. Jahrhundert beliebten Stoff der Landsknechtszeit zugewandt - also der von Gewalt, Tyrannei und Bauernaufständen geprägten düsteren Kehrseite der Dürerzeit. In Bürgers Ballade findet der hemmungslos seinen feudalen Vorrechten lebende Wild- und Rheingraf auf einer Hirschjagd den Tod. Zwei Reiter begleiten ihn: der gute Geist, der ihn zurückhalten will - der Graf versäumt die Heilige Messe und richtet mit seiner Jagdleidenschaft rücksichtslos die Ernte der Bauern zugrunde - und der Geist der Versuchung. „Laß stürzen! Laß zur Hölle stürzen! Das darf nicht Fürstenlust verkürzen.“ Bei Weber wies der „Wilde Jäger“, trotz eines tief ins Gesicht gezogenen Hutes, physiognomische Ähnlichkeit mit Hitler auf. Alfred Toepfer, der Auftraggeber, war von dem Wandgemälde begeistert: „Es war das beste Bild, das ihm überhaupt je gelungen ist - eine Art Gegenstück zu „Hitler - ein deutsches Verhängnis.“ (Anm. 152) Trotz dieser in der Wertung sehr subjektiven späteren Lobeshymne war das Verhältnis Webers zu Toepfer bereits abgekühlt - eine Rötelzeichnung (Anm. 153) mit einer Ansicht des Gutes signierte Weber bissig mit dem Monogramm „B.E.“, was „Broterwerb“ heißen sollte. Das anfangs so beschauliche Wirken in der Stille des Brümmerhofes sich durch die Stiftung der drei großen Jugendherbergen und die Erwerbung der drei neuen Höfe zu einer Arbeitslawine für Weber entwickelt hatte - der, oft parallel daran tätig, auch noch zwischen den unterschiedlichen Arbeitsstätten pendeln mußte. Er schrieb am 8.10.1934 an Hans Schmidt-Gorsblock: „Ich stehe mehr unter Herrn Toepfers Fuchtel - als Sie ahnen können - ich mußte nach Kalkhorst ... reisen und für den Leutesaal zum Erntedankfest ein großes Wandbild malen.“
Der Maler Felix Krause berichtete in seinem Tagebuch von einem Besuch in Kalkhorst am 10.7.1938: „Morgens gab es erst eine große allgemeine Frühstückstafel. Herr Töpfer erschien wie ein Herrscher, der die Seinen begrüßt. Er ist bei allen Verdiensten doch nur ein ganz kleiner Napoleon. Später wurde ich einer Führung durch Kalkhorst angegliedert. Mich interesierten am meisten die Arbeiterhäuser, die Weber ausgestattet hat. Er hat dabei wirklich viel gutes geleistet. Im Ganzen hat Weber hier in Kalkhorst viel mehr geleistet, als Töpfer je mit Geld bezahlen kann.“
Trotz der zunächst so generös erscheinenden Bedingungen auf dem Brümmerhof fühlte sich Weber zunehmend von Toepfer, der sich als uneingeschränkter Patriarch über seine Besitzungen sah, ausgenutzt und durch die Abhängigkeit sowie die kaufmännisch-kühle Art Toepfers verletzt und gedemütigt. Am 11.1.1935 schrieb Weber an Hans Schmidt-Gorsblock über die Gestaltung einer neuen Zierleiste für das Kalendarium des Deutschen Volkskalenders Nordschleswig: „Ich hatte Herrn T. [= Toepfer] gebeten, die Klischierkosten für die Kalenderleisten zu spenden - ohne eine Sekunde Überlegung kam die Absage (von vielleicht 40 - 50 Mark). Der unbekannte Spender spendet nur - wenn die breite Öffentlichkeit - die hohen Behörden - die Creme der Gesellschaft dabei sind - wo geredet wird und es an Ehrungen nicht mangelt - da kommt es auf 1000 Mark nicht an - mich hat das recht verstimmt und ich habe nicht erst seitdem zu manchen Dingen hier eine andere Haltung.“
Über eine 12teilige Serie von Postkarten „Aus Niederdeutschland“ (Anm. 154), für die Weber Ansichten der Toepfer-Höfe zeichnete (Abb. 175, 180 und 184), schrieb er am 12.7.1936 an seinen Freund Alf Depser: „ ... es war als Auftrag Broterwerb und nur 1 Arbeit gefällt mir ... - die Hocken von Siggen - das Meer hinten.“ (Abb. 184) Auf dem Mappendeckel war Weber nicht erwähnt; er seinerseits hatte keine der Zeichnungen signiert oder monogrammiert, was nur selten vorkam. Zunehmend bemerkt man in den Arbeiten, die ihm abverlangt wurden, Unlust und Verweigerung. So fallen z.B. mehrere Porträts, die Weber in Rötel von der Ehefrau Toepfers zeichnete, weit unter Niveau aus.
Eine Reise nach Flandern, auf die Toepfer den Künstler und dessen Frau als „Belohnung“ für die fertiggestellte Ausstattung der Jugendherberge Bernstein mitnahm, erregte Webers tiefen Unmut, da das zur Verfügung gestellte Taschengeld nicht ausreichte, um Toni Weber den heißgehegten Wunsch nach einem Brüsseler Spitzentüchlein zu erfüllen und Toepfer sich nicht erweichen ließ: „So leicht verdienen wir das Geld nun auch nicht, Herr Weber!“ (Anm. 155)
Hans Schmidt-Gorsblock vermerkte am 2.9.1933 auf einem Notizzettel: „Wiederkehrende Klage über Ausnutzung - Hauptgrund wohl allmähliche Entfremdung, in zweiter Linie - oder doch erste? Verständigungsmangel des nüchternen Kaufmanns für die Würde und Ausschließlichkeit des sich berufen wähnenden Künstlers.“
Im Sommer 1936 wurde Toepfer gezwungen, den Brümmerhof wegen des neu errichteten Truppenübungsplatzes Bergen zu räumen. Die von dort vertriebene Bauernfamilie Drewes sollte hier angesiedelt werden - der städtische Besitzer mußte weichen. Das Angebot Toepfers, Weber solle unter gleichen Bedingungen wie bisher nach Thansen umziehen, lehnte dieser ab, war später aber noch weiterhin für Toepfer tätig. Als große Hilfe bei der nun beginnenden Suche nach einer neuen Bleibe für die sechsköpfige Familie erwies sich der Hamburger Günther Martin, Prokurist der Firma A. C. Toepfer seit 1930. Martin und Weber hatten sich bei den Arbeiten für die verschiedenen Güter Toepfers kennengelernt und schätzten sich sehr, was bis zum Lebensende anhielt. Günther Martin verfügte bereits seit Anfang der 30er Jahre über ein Auto und fuhr mit Weber tagelang durch Mecklenburg und Holstein. Als zukünftiger Wohnort schien das etwas abgelegene, von Wald umgebene Blankensee im Süden Lübecks ideale Voraussetzungen zu bieten, bis Martin erfuhr, hier werde im Zuge der allgemeinen Aufrüstung in den kommenden Jahren - wie an so vielen abseits gelegenen Orten - ein Flugplatz entstehen mitsamt benachbarter Kaserne, was bis 1938 auch tatsächlich geschah. So mietete Weber schließlich im April 1936 für 1.500 Reichsmark jährlich das Jagdhaus eines Hamburger Kaufmanns am Ortsrand von Groß- Schretstaken im schleswig-holsteinischen Kreis Herzogtum Lauenburg. Das geräumige Gebäude lag dicht eingewachsen in einem etwa 7.000 Quadratmeter großen Bauerngarten. Der Blick ging frei über die Felder bis zum nahen Waldrand.
Das erste Buch über Weber:
Die Monographie von Hugo Fischer
Doch zunächst noch einmal zurück auf den Brümmerhof: Ein Lichtblick in Webers mehr und mehr von Unmut getrübtem Dasein dort und bisheriger Höhepunkt in der künstlerischen Karriere des damals 43jährigen war das Erscheinen des ersten Buches über ihn und sein Werk im „Widerstands-Verlag“ Berlin. Es war bereits für 1935 unter dem Titel „Kämpfende Kunst“ angekündigt gewesen, vorsichtshalber hatte man dann im Impressum das Erscheinungsjahr 1936 angegeben, jedoch lag es zum Weihnachtsfest 1935 vor. Die Freude über das gelungene Werk war groß. Der Hauslehrer Stählin erinnerte sich: „Eines Wintertags brachte der Postbote einen Packen - das Buch war da! Das mußte gefeiert werden. Ich radelte auf der eisblanken Straße nach Soltau und holte eine Flasche Sekt. Jeder bekam einen Schluck und der Jüngste schoß Kobolz auf dem Sofa bei den Eltern.“ (Anm. 156)
Bei einem beachtlichen Umfang von 136 Seiten mit 94 ganzseitigen Bildtafeln von Federzeichnungen, Holzschnitten und Gemälden war die Monographie vortrefflich ausgestattet und wird Weber mit Stolz erfüllt haben. Im Deutschen Volkskalender Nordschleswig war darüber zu lesen: „Hier tritt uns vor allem der Spötter und Kritiker entgegen, der Jämmmerlichkeit und Gemeinheit, Hohlheit und Protzentum, Eigennutz und Genußsucht erbarmungslos in das kalte Licht stellt, darüberhinaus aber zum Positiven strebend, alles Starke, Wahre, Gesunde mit heißem Herzen fördern will.“ (Anm. 157)
Den Buch-Schuber zierten Fuchs und (Hof-)Narr, zwei Figuren, mit deren Schelmentum und List Weber sich zeitlebens identifizierte. Das Frontispiz zeigte eine Darstellung, auf der ein Narr einen dicken Spießbürger stützt: „Das Geleit“ (Abb. 185) - Titel späterer Varianten: „Der müde Krieger“.
Es ist interessant zu sehen, wie Weber, der zusammen mit Niekisch die Bildauswahl traf, sein bisheriges Lebenswerk rückschauend gewichtete und welche Bilder er bevorzugte: Das letzte Drittel des Tafel-Teiles wird von 28 Gemälden, meistens Porträts, eingenommen. Ihnen maß Weber offensichtlich hohe Bedeutung bei. Eine Zeichnung „Am Krottenkopf“ aus den späten 20er Jahren, die für das intensive Naturerleben Webers als Wandervogel steht, wurde dem 36seitigen Einführungstext vorangestellt. Dessen Autor, der Philosoph Hugo Fischer (Anm. 158), ebenfalls ein Mitglied des „Widerstandskreises“, ging darin auch diesem Thema nach: “ ... in den Gräsern und Tieren Dürers ... ist das ewig frische und geweihte Leben der Natur gegenwärtig, und die Kunst Webers zeigt uns, daß auch uns gegenwärtigen Deutschen der Rückanschluß an das Element möglich ist, aus dem wir Lebenskraft trinken ...“ (Anm. 159)
Die Graphiken der frühen Schaffensjahre Webers fanden keinen Niederschlag; der Tafel-Teil begann mit einer 1924 entstandenen Illustration zu Goethes „Reineke Fuchs“, gefolgt von zwei Kohle-Skizzen zu einer geplanten, jedoch nicht erschienenen Ausgabe des „Simplicissimus“ von Grimmelshausen. Fischer verglich Weber in den ersten Zeilen seiner Einführung mit Grimmelshausen (wobei er wohl eher dessen Romanfigur - den Simplicissimus - meinte): „A. Paul Weber hat als Mensch und als Künstler eine tiefe Verwandtschaft mit Grimmelshausen. Grimmelshausen verfolgt unangefochten und unschuldig seinen Weg durch eine schlimme Zeit, er ist verwundert und erschrocken über das, was in dieser schlimmen Zeit möglich ist und er geht auf die Dinge ein, er läßt sie über sich ergehen wie eine Blume am Rande einer Heerstrasse den Schmutz und Kot, unter dem sie ihre eigene Schönheit lächelnd bewahrt.“ (Anm. 160)
Fischers pathetische Auslassungen im Stil der Zeit scheuten auch nicht vor einem Vergleich Webers mit der griechischen Antike zurück: „In den besten Deutschen ... brechen Eigenschaften durch, die den Deutschen in die Nachbarschaft des Griechen rücken, eine geistige Unbefangenheit, eine Naivität, an der alle Tendenzen und Reflexionen absplittern, eine unbeirrbare Einfalt, die sich vor nichts und niemandem fürchtet und die lächelnd und leicht „unzeitgemäße“ Wahrheiten ausspricht, die der Welt ins Gesicht schlagen.“ (Anm. 161) Gleichzeitig griff Fischer den Nationalsozialismus an, indem er der Ursprünglichkeit, wie sie der „Widerstandskreis“ schätzte, die „bombastischen Überheblichkeiten“ und den „niederträchtigen Klimbim“ des Barockzeitalters entgegenstellte, wobei den Zeitgenossen bewußt gewesen sein dürfte, daß hier die Repräsentationssucht der Nationalsozialisten gemeint war. Ebenso wurde der herrschende Propagandaapparat angegriffen. Der Künstler Weber zeichne die Repräsentanten des Häßlichen mitsamt ihrer Schminke, wodurch ihr wahres Wesen unverhüllt hervortrete. (Anm. 162) Fischer bescheinigte Weber schließlich, daß er sich der „allgemeinen Häßlichkeit, der Gleichschaltung“ entzogen habe.
Im Tafel-Teil folgten zunächst sechs Holzschnitte, teils aus der Ellena-Presse, sowie Kohle-Skizzen für die Jugendherbergen. Danach mehrere Zeichnungen, die den 1.Weltkrieg betrafen, hauptsächlich aus dem 1932 erschienenen Buch „Lehrer im Krieg“ von Franz Führen. Anders als die während des 1.Weltkrieges gezeichneten Bilder fehlten diesen später entstandenen das übertriebene Pathos, die derbe Hurra-Komik und die Heldenverehrung. Sie zeigten vielmehr die Trauer um die Opfer, die Kameradschaft der Soldaten untereinander und - oft fast anekdotisch anrührend - die menschlichen, stillen Momente einzelner Soldaten abseits des Kampfgetümmels, etwa beim Essenholen, beim Zigarettenrauchen oder beim Auffinden eines alten Klaviers. Fischer schrieb: „Die Vergangenheit wird von Weber in einem bestimmten Sinne „aktuell“ aufgefaßt. Die vergangene Aktualität greift der gegenwärtigen Aktualität gewissermaßen unter die Arme, sie stellt Hilfstruppen. Es ist, als ob sich aus dem unermeßlichen Stoff der Vergangenheit Teilchen abspalten, die wie Ionen nach dem Pol der Aktualität hinüberwandern, um ihn in seiner Existenz und Wirkung zu bestätigen, zu stärken und herauszuarbeiten.“ (Anm. 163) Fast unbemerkt ging die Bilderfolge des Buches zu aktuellen, politisch-sozialkritischen Bezügen über Die Bleistift-Skizze „Selbstmord“ (Abb. 186) (Titel späterer Varianten: „Der Schlag ins Leere“) zeigt den „Deutschen Michel“ am Pranger, wie er sich selbst einen Nagel in den Kopf schlägt. Im Gesicht spiegelt sich keine Verzweiflung - es ist ein Akt tiefer Stupidität. Angeblich war dies die künstlerische Reaktion Webers auf die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und die Wahlerfolge der NSDAP. (Anm. 164) Die Skizze stand mit ihrem flüchtigen Zeichenstil wie ein Fremdkörper zwischen den detailfreudigen, ausgearbeiteten, graphisch dichten Zeichnungen, so daß die Vermutung naheliegt, nicht die künstlerische Qualität, sondern ihr brisanter, dem Eingeweihten verständlicher Sinn könnte Anlaß zur Aufnahme ins Buch gewesen sein. Allerdings blieb der allgemein kritische Unterton dieses Motivs auch in späterer Zeit aktuell: Weber lithographierte das Thema 1951, 1955 und nach 1960 in weiteren Fassungen.
Diese Mischung aus Komik und Tragik begegnet uns auch in der Federzeichnung „Der Bamberger Reiter“ (Abb. 187): Das Pferd des Standbildes im Bamberger Dom bäumt sich auf, der Reiter vertreibt mit dem Schwert eine Horde Fotografen, die sich ihm mit Leitern zu nähern versuchen. In vielen Lesebüchern der 30er Jahre war der Bamberger Reiter abgebildet. Als Synonym für das Idealbild des Deutschen schlechthin war er Bestandteil nationalsozialistischer Propaganda geworden. Weber und seine Freunde aus dem „Widerstandskreis“ sahen wohl hier ihr Bild des Deutschen von den Nationalsozialisten mißbraucht. Fischer formulierte dies so: „Im Bild vom Bamberger Reiter faßt er die bürgerliche Öffentlichkeit, die den gotischen Reiter als Reklameartikel und Apologetik des dritten Standes und seiner Lebensinhalte behandelt, von der humorvollen Seite her, indem er zeigt, daß der Mißbrauch des Höheren auf die Unzulänglichkeit und das niedrige Getriebe empfindlich zurückschlägt.“ (Anm. 165) Unter den weiter abgebildeten Werken, von denen einige bereits in der Zeitschrift „Widerstand“ veröffentlicht worden waren, fällt die mit fünf Federzeichnungen ungewöhnlich umfangreich vertretene Folge „Die Bomber“ von 1934/35 auf. Der Zyklus zeigt die Reaktionen von Menschen auf einen Bombenangriff. Meist flüchten sie in Panik - nur auf einem Bild sitzt ein Mann mit stoischem Gleichmut am Tisch und löffelt trotz zersplitterter Fensterscheiben ruhig seine Suppe (Abb. 188). Das Motiv wurde später von den Nationalsozialisten als „wehrkraftzersetzend“ empfunden. Das Blatt wurde bewußt einer dramatischen Federzeichnung „Mutter und Kind“ (Abb. 189), gegenübergestellt, die u.a. zum späteren Verbot des Buches führte. Zu dieser Zeichnung schrieb Fischer: „In dem Motiv der vor dem Gasangriff fliehenden Mutter, die ihrem Säugling vergeblich die Gasmaske aufzustreifen sucht, packt Weber einen Motivkomplex des Häßlichen, der in sich selbst zu explodieren droht, eine höchste Aufgipfelung des infernalischen menschlichen Lebens unsrer Gegenwart. Die totale Mobilmachung des Häßlichen nimmt gespenstig Gestalt an, und sie fegt wie ein verderbenspeiender Windstoß vorüber. ... Diese Häßlichkeit braucht sich vor niemandem mehr zu verbergen, der umgehende Riesengeist des Wettrüstens hat die gräßliche Maske mit brutaler Faust vor das Rampenlicht des Welttheaters gestoßen ...“ (Anm. 166) Weber hatte in solchen Zeichnungen seinen eigenen Stil gefunden. Um die Dynamik der Situation darzustellen, umspann er die Figur mit exzessiven Strichen, deutete durch die Haltung der Figur, die unheilvolle Dunkelheit und die graphische Auflösung der Treppenstufen die Gefahr des Sturzes an. Der in seiner Bewegung kaum zu bändigende Säugling schnappt bereits im Todeskampf mit weit aufgerissenem Mund nach Luft.
Vor allem auf das Element des Häßlichen, das in Webers Graphiken oft zum Ausdruck kommt, ging Fischer ausführlich ein: „Der Künstler Weber hält der Welt einen Spiegel vor, daß sie sich selbst erkenne, daß sie vor sich selbst erschrecke ... Er predigt nicht mit seiner Kunst, er schilt nicht, schmäht nicht, klagt nicht an; er ist niemals fassungslos und vor nichts entsetzt, denn sein Spiegel bleibt ungetrübt.“ (Anm. 167) ... „Wenn Weber etwas gesteigert Häßliches darstellt, so wird im Hintergrund der häßlichen Erscheinung der Riß in jenem Damm sichtbar, durch den eine ganze Flut von Schönheit einströmt, die die häßliche Gestalt in ein eigenartiges Fluidum eintaucht, das ihr selbst unbemerkt bleibt. ... Die Welt selbst wird von Weber an der empfindlichen Seite des Bewußtseins ihrer extremen Häßlichkeit gepackt, und das Häßliche wird aus seiner ruchlosen Unschuld aufgescheucht.“ (Anm. 168)
Der Bomber-Zyklus folgte unmittelbar auf das Blatt „Die Glanznummer“ (Abb. 190), welches die von Weber trotz der Friedensbeteuerungen Hitlers gefühlte Bedrohung in dieser Zeit deutlich macht. Der Tod, als Harlekin verkleidet, balanciert mit verbundenen Augen auf einem Schwebebalken und tappt mit grausigem Lächeln blind auf eine riesige Granate zu. Die dichtgedrängt stehende Menschenmenge glotzt sensationslüstern, aber auch erschreckt, kann dem skurrilen Treiben jedoch nur tatenlos zusehen. Weber verstand es, Gefühle und komplexe Zusammenhänge auf eine einfache, allgemein verständliche und direkt nachvollziehbare Bildformel zu bringen.
Ebenso häßlich wie aktuell war auch die Zeichnung „Der Denunziant“ (Abb. 191). Zu Werbezwecken wurde eigens eine Postkarte (Anm. 169) mit diesem Motiv (unter dem Titel „Der Spitzel“) gedruckt und auf der Rückseite mit einem Hinweis auf das Buch versehen. Die folgenden Jahre unter der Herrschaft des Nationalsozialismus zeigten, wie treffend Webers Bildidee war. Nach der Verhaftung Niekischs wurden einige Publikationen des Widerstands-Verlages, darunter auch das Weber-Buch am 16.2.1940 in Berlin beschlagnahmt. Am 13.3.1940 schrieb die Preußische Geheime Staatspolizei hausintern: „Im Hinblick auf die in dem Buch von Weber insbesondere auf Bl.41 [= „Spekulant auf Heldentod“] und 61 [= „Mutter und Kind“] enthaltenen unzeitgemäßen Bilder, sowie der auf Seite 80 befindlichen Abbildung des am 10.1.1939 vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilten Ernst Niekisch ... halte ich die Einziehung ... für unbedingt erforderlich. Weber dürfte bei der im Jahre 1936 erfolgten Gestaltung und Herausgabe seines Buches zweifellos propagandistische Ziele für den „Widerstandskreis“ verfolgt haben.“ (Anm. 170) Am 8.4.1940 veranlasste der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda die Beschlagnahmung, am 24.4.1940 wurde durch den Präsidenten der Reichsschrifttumskammer das Buch “in die Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums eingereiht“ (Anm. 171) und die beschlagnahmten Exemplare vernichtet.
So sehr das Buch Weber erfreut haben mag, in seiner Vorbereitung lagen auch die Ansätze zum Zerwürfnis mit Ernst Niekisch: Weber schrieb dazu am 24.7.1978 an Gerhard Graßhoff: „Hier hat Ernst verschwiegen, daß wir uneins wurden; er wollte unbedingt bei dem Buch von Hugo Fischer die Titel meiner Bilder ändern; das verweigerte ich und nahm ihm den gesamten Stoff aus den Händen und machte ihn allein druckreif. Das ärgerte ihn und war allein der Grund der Verstimmung ...“
Die Ölgemälde der 30er Jahre
Ein Grund für die Indizierung der Weber-Monographie war u.a. das abgebildete Porträt von Ernst Niekisch (Abb. 192) und weiterer Personen aus dem „Widerstandskreis“, vor allem von Karl Tröger („Der Grenzer“). Im Oktober 1933 hatte Weber an Heinrich Bodenstein berichtet: „Das Ölbild von Ernst Niekisch ist meine beste Arbeit auf diesem Gebiet bisher - ich hoffe damit in eine neue Periode eingetreten zu sein.“
Die mit einem Drittel des Tafel-Teils stark repräsentierten Ölgemälde waren für Weber in dieser Schaffensphase besonders wichtig, sah er sich doch auch als Maler und nicht „nur“ als Graphiker, wenngleich er - wohl auf Widerspruch hoffend - betont bescheiden am 30.12.1935 an Hans Schmidt-Gorsblock schrieb: „ ... auf dem Gebiet der Malerei bewege ich mich erst kurze Zeit und ist Nachsicht am Platze -“. Weber überging hier, daß er bereits in den 20er Jahren den Wunsch verfolgt hatte, als Maler bekannt zu werden und einen empfindlichen Rückschlag erlitt, als er sich 1923 an einer Ausstellung junger Künstler im „Glaspalast am Lehrter Bahnhof“ in Berlin beteiligte. Statt des erhofften Durchbruchs verspottete man ihn als „kleinen Hodler“ und versah seine Bilder mit spöttischen Aufschriften. Weber zog sich daraufhin mit seinen Gemälden aus der Öffentlichkeit zurück. Die tiefe Kränkung ließ ihn auch die aktuelle, „erfolgreiche“ Kunstszene bis zu seinem Lebensende mit kritischer, wenn nicht gar verbitterter Distanz betrachten.
Auch der Umgang mit Personen, die er als Auftragsarbeit und nicht aus persönlichem Interesse porträtieren mußte, gestaltete sich manchmal schwierig. 1927 erhielt er den Auftrag, den Dichter und Schriftsteller Börries von Münchhausen zu malen. Drei Jahre nach Abschluß der Arbeit äußerte der Freiherr die zunächst sehr höflich formulierte Bitte, das Bildnis doch nun auszuliefern. Weber ließ den Brief unbeantwortet und gab auch ein entliehenes Ahnenbuch nicht sogleich zurück. Münchhausen wandte sich über sein Sekretariat am 7.4.1931 an Frau Toni Weber und drohte: „Dies Verhalten widerspricht so sehr jeder guten Erziehung und jeder einfachen menschlichen Dankbarkeit und Lebensform, daß ich nicht glauben kann, daß Sie damit einverstanden sind. Die Angelegenheit muß nunmehr einem Göttinger Anwalt übergeben werden, und Ihr Mann hat zweifellos auch die sehr beträchtlichen Prozeßkosten zu bezahlen.“ Weber erwiderte eine Woche später: „Ich war längere Zeit, zum Teil ins Ausland, verreist und kam aus diesem Grunde nicht in den Besitz der Briefe ... In Berlin fand ich Ihr Schreiben vom 7.4.31 vor. Es setzte mich in nicht geringes Erstaunen und ich vermochte mir bis zu diesem Augenblick noch nicht die Frage zu beantworten, woher Sie den Mut nehmen, mir Belehrungen über Erziehung und gute Lebensart zu erteilen. Mir scheint Ihre Taktlosigkeit, eine Ehefrau gegen ihren Mann ausspielen zu wollen, durch nichts überboten werden zu können. Ich bin nicht in der glücklichen Lage, ein Sekretariat besolden zu können, das während meiner Abwesenheit von zu Hause meine Angelegenheiten erledigt; würde ich aber instandgesetzt sein, ein Sekretariat zu unterhalten, so weiß ich das eine ganz bestimmt, daß ich es strenge dazu erziehen würde, ‘die einfachsten Formen des schriftlichen Verkehrs unter gebildeten Menschen’ gewissenhaft zu beachten, als sie das Sekretariat des Freiherrn von Münchhausen im vorliegenden Falle beachtet hat ... . Es bleibt mir nur übrig, festzustellen, daß ich mich glücklich fühle, eine von der Ihrigen abweichende Auffassung über das, was Lebensform heißt, zu haben.“ Da Weber das Buch zurückschickte, das Bildnis jedoch weiterhin als sein Eigentum betrachtete, lenkte Münchhausen ein: „Sie wissen, daß ich nicht übelnehmerisch bin, und daß mir nichts ferner liegt, als alle meine Freunde zu den gleichen Sitten und Gebräuchen zu bekehren. Einer derartigen Schreibfaulheit gegenüber aber glaube ich doch zu dem freundschaftlichen Rate berechtigt zu sein: Bitte bedenken Sie doch einmal, wie sehr das ganze Zusammenleben der Menschen dadurch an Freundlichkeit gewinnt, ja, geradezu davon abhängt, daß der Einzelne sich der allgemeinen Sitte fügt, sei es, daß er auch für eine kleine Gabe freundlich dankt, sei es, daß er sich bei ungewolltem Versehen entschuldigt, sei es, daß er keinen Brief länger als 8 Tage unbeantwortet läßt, sei es irgend eine andere Äußerung natürlicher Gutherzigkeit. Ich weiß ja ganz gewiß, daß es Ihnen an dieser nicht fehlt, aber ich bitte Sie herzlich und in guter Freundschaft doch um Ihretwillen (nicht um meinetwillen), einen etwas aktiveren Gebrauch von Ihrem Federhalter zu machen. ... Wie haben sich Ihre reizenden Kinder entwickelt und wie hat sich Ihr Häuschen in den Wintermonaten bewährt? ...“ Auch diesen Brief ließ Weber unbeantwortet, womit er den endgültigen Zorn des adligen Auftraggebers auf sich zog. Dieser schrieb abschließend am 20.5.1931: „Ich breche nunmehr die Beziehungen zu Ihnen ab, da ich in Ihrem Verhalten nicht mehr Unordnung, Unpünktlichkeit und Mangel an den unter gebildeten und befreundeten Menschen üblichen Umgangsformen, sondern bewußte Ungezogenheit sehen muß.“ Später verarbeitete Weber das Bildnis in seinem Garten zu Kompost. (Anm. 172)
Die 30er Jahre mit den Auftragsarbeiten von Toepfer, etwa für die Jugendherbergen, brachten ihm wieder Selbstvertrauen hinsichtlich seiner Malerei, und in den Jahren 1940 und 1941 stellte Weber sogar Ölgemälde in der Preußischen Akademie der Künste in Berlin aus. (Anm. 173)
Unter den 28 abgebildeten Gemälden in der Weber-Monographie von Hugo Fischer nahmen die Porträts mit 20 Werken eine herausragende Stellung ein. Weber schrieb um 1930 an Georg Kallmeyer: „Wenn unsere Nachfahren - so eine lückenlose Sammlung der Menschen, auf die es ankommt - von frühen Jahren - mit den Augen eines Malers gesehen [haben] - ich weiß - das ist etwas ganz Eigenes dann - was kein Photo irgendwie kann. Warten Sie nur noch ein paar Jahre - was dann dabei herausgekommen sein wird - Ich sehe in dieser Arbeit jedenfalls eine Aufgabe.“
Porträts allgemein bekannter historischer Persönlichkeiten treten nur in besonders begründeten Zusammenhängen auf, etwa ein Porträt Machiavellis, weil Weber 1929 ein Buch über dessen Leben (Anm. 174) illustriert hatte und Niekisch sich u.a. auf die Theorien Machiavellis bezog. Manche Porträts wurden auch von Toepfer vermittelt oder direkt in Auftrag gegeben, wie z.B. das Porträt Hans Schmidt-Gorsblocks, das 1932 begonnen und am 11.9.1936 übergeben wurde. Ebenso Anfang 1936 das Bildnis von Pastor Johannes Schmidt-Wodder (Anm. 175) aus Nordschleswig (Abb. 193). Weber schrieb diesem am 18.1.1936, wobei leise Kritik an der „despotischen“ Organisation des Auftraggebers anklingt: „Genau vor einem Jahr schrieben Sie mir aus Kopenhagen zu unserer Bildnisangelegenheit. Nach verschiedenen Manövern hat mir Herr Toepfer nun endgültig den Auftrag, Sie zu porträtieren, gegeben. Er kündigte Ihren Besuch schon zu wiederholten Malen hier auf dem Brümmerhof an. Ich glaube nicht, daß Sie sich so ohne weiteres nach den wohl selbständigen Dispositionen von Herrn Toepfer richten können. Ich möchte Sie daher fragen, ob es Ihnen recht ist, wenn ich in den nächsten Wochen zu Ihnen hochkomme.- Arbeiten wir gut zusammen, so kann ich in 3 - 4 Tagen fertig sein.“ Tatsächlich malte Weber das Porträt in nur sechs Tagen vom 18. bis zum 23.5.1936. In ähnlich bestimmender Weise verfuhr Toepfer weiter mit diesem Porträt, ohne es gesehen zu haben: Er schrieb am 9.6.1936 an Schmidt-Wodder: „ ... das Bild halten Sie bitte innerhalb Ihrer Familie, wo Sie wollen, zu meiner Verfügung.“ Toepfer plante, es später in der Jugendherberge auf dem Knivsberg oder an einem „anderen repräsentativen Ort innerhalb des Reiches“ aufzuhängen. Auch die Vervielfältigung auf Postkarten war geplant. Schließlich gelangte das Bild zu Weber ins Atelier, wo er es für die „Abnahme“ durch Toepfer vollendete. Als das Porträt jedoch im „Deutschen Volkskalender Nordschleswig“ veröffentlicht werden sollte, lehnte Schmidt-Wodder dies aus politischen Gründen ab, da es inzwischen in Nordschleswig „einen Hexenkessel von Meinungen und Rivalitäten“ gebe und das Porträt ihn zu wenig als „mutigen, klugen und zähen Kopf“ zeige - das Gemälde sollte seinen politischen Gegnern nicht dazu dienen, ihn als „ruhigen“ und „alten Mann“ zu diffamieren - außerdem seien seine Angehörigen über das Bild „nicht rückhaltlos erfreut“ gewesen. Er merkte aber an: „Gleichzeitig möchte ich Ihnen auch sagen, daß ich glaube, daß Ihr Bild von mir zu einer späteren Zeit richtiger aufgefaßt wird, vielleicht als ein lebendiges Zeugnis davon, wie mancher gute Mann unter der Zeit gelitten hat ...“ (Anm. 176) Dies war für Weber nur ein schwacher Trost. Er war über die ablehnende Beurteilung seiner Arbeit zutiefst enttäuscht und brach den Kontakt zu Schmidt-Wodder ab.
In den Porträts wird das Interesse Webers am Menschen deutlich. Mit scharfem Blick nimmt er jedes physiognomische Detail wahr und läßt die Person hinter dem Gesicht deutlich werden. Bevorzugt malte Weber darum Freunde, Mitglieder des „Widerstands-kreises“ und Familienangehörige, wie seine Frau Toni (Abb. 194), weiterhin persönliche Bekannte. So etwa die Häuslerin Maria Heitmann, deren Porträt von 1941 (Abb. 195) einen gewissen Endpunkt in Webers Porträtkunst darstellt, die bis dahin einem streng naturalistischen Stil verpflichtet war. Maria war die Großmutter der Wirtschafterin Ella Bütow, die bei der Familie Weber in Groß-Schretstaken bis zum Kriegsende tätig gewesen war und der Weber das Gemälde schenkte. Weber schrieb am 31.12.1941 an Heinrich Bodenstein: „Vor dem Fest fuhr ich immer über Land nach Sams und malte dort ein 78 Jahre altes Großmütterchen ... ich erhielt Einblick in das Leben - das Wesen einer Häuslerin. 3 Katzen ... umgaben sie - und ich malte eine - auf ihrem Schoß sitzend mit - ich komme schon mit der Malerei voran - aber ich spüre - ich werde noch viel dabei zu lernen haben - ehe ich mich mit dem gehörigen Selbstbewußtsein an den Tisch der Meister setze.“ Die Darstellung konzentrierte sich ganz auf Gesicht und Hände die wie von einem scharfen Licht angestrahlt aufleuchten. Alle übrigen Bildelemente treten in etwas teigiger Malweise mit stumpfen Farben zurück. Die minutiöse Ausarbeitung der gichtigen, knorrigen Hände erinnert an das Bildnis der „Eltern“ von Otto Dix. Sogar die Lehnen der Sofas haben die gleiche ungewöhnliche Form. Der Stilbegriff der „Neuen Sachlichkeit“, einer Gegenbewegung zum Expressionismus, der für den gleichaltrigen Dix zutraf, kann jedoch für Weber nicht in Anspruch genommen werden. Seine naturalistische Malweise griff eklektizistisch auf Vorbilder aus dem 19.Jahrhundert, hier etwa auf Wilhelm Leibl, zurück. Sie lag weitab von der Entwicklung der „großen“ Malerei - es sei nur daran erinnert, daß Kandinskys abstrakte Kompositionen, Malewitschs konstruktivistische Quadrate und Picassos kubistische „Demoiselles d’Avignon“ damals bereits über 30 Jahre alt waren. Diese Entwicklungen in der Kunst haben sich in Webers Schaffen nicht niedergeschlagen. Er vermochte ihr seinerseits keine neuen Impulse zu geben. Seine Malweise entsprach dem herrschenden Zeitgeist, dem Volksgeschmack. Ihr Naturalismus konnte sich auf die „urdeutsche“ Kunst der Dürerzeit berufen und entsprach damit auch bruchlos dem von den Nationalsozialisten propagierten Kunstbegriff. So ist es nicht verwunderlich, daß Werke von Weber, gerade wenn sie für den Auftraggeber Toepfer entstanden, noch heute als Werke der „Nazi-Kunst“ mißverstanden werden können. (Anm. 177)
Aus dem Bildnis Ernst Jüngers (Abb. 196) von 1936 - Weber hatte ihn bereits ein Jahr zuvor porträtiert - sprach die Hochachtung, die Weber gegenüber dem Intellektuellen empfand. Mit wachem, scharfem Blick taxiert der Dargestellte den Betrachter. Weber dedizierte es Jünger und schrieb ihm am 7.9.1936: „So langsam mache ich die Kiste für Ihr Bild fertig - daß es nun endlich zu Ihnen kommt. Ich denke - Sie werden nicht prüde sein und von großen Geschenken reden - ich mache das - da ich Sie gebeten habe - immer so - in solchen Fällen. Und - neue Arbeiten verdrängen die alten. Ich würde Sie höchstens bitten - bei Gelegenheit 25 Mk für einen Tischler zu opfern - der den Rahmen gearbeitet hat. Dieser Tage gelang auch endlich eine in allen Punkten wirklich gute [fotografische] Aufnahme. Das ist auch der Grund - daß ich mich leichter von der Arbeit trenne - die Schachspieler bleiben mir ja.“ Tatsächlich gelangte das Porträt jedoch nicht in Jüngers Besitz, sondern verblieb beim Künstler, ebenso wie die „Schachspieler“ - ein Doppelbildnis der beiden Jünger-Brüder beim Schach (vgl. Abb. 173). Ernst Jünger schrieb: „Übrigens pflegten Friedrich Georg und ich während dieser Besuche [auf dem Brümmerhof] hin und wieder eine Partie zu spielen, wobei wir zugleich für A. Paul Weber ein Motiv bildeten. ... In diesem Falle hatte es keiner besonderen Anreise bedurft, denn ich war mit Hugo Fischer, dem Magister, auf dem Wege nach Norwegen, und wir unterbrachen die Fahrt auf dem Brümmerhof.“ (Anm. 178) Der zwei Jahre ältere Ernst Jünger war wie Weber Wandervogel und Kriegsfreiwilliger im 1.Weltkrieg gewesen und hatte den Orden „Pour le Mérite“ erhalten. 1920 waren seine Kriegserlebnisse „In Stahlgewittern“ erschienen. Durch seine Beiträge im „Vormarsch“ zwischen 1927 und 1929 lernte er Weber kennen, der u.a. seine Erzählung „Alonso de Contreras“ (Anm. 179) illustriert hatte. 1928 schuf Weber zwei Exlibris (Anm. 180) für Ernst Jünger.
Die freundschaftliche Hochachtung, die Weber ihm entgegenbrachte, wurde von diesem jedoch nicht in gleicher Weise erwidert - zu groß war die Kluft zwischen dem hochgebildeten Intellektuellen und dem „Instinktwesen“ Weber. Ernst Niekisch bezeichnete Jünger als „Augenmenschen“, der der bildenden Kunst sehr zugetan war. Jünger schätzte an Webers Arbeiten das Morbide, die Darstellung von Verwesung und Verfall, beschäftigte sich jedoch aus gleichem Beweggrunde bereits seit den frühen 20er Jahren intensiver mit Alfred Kubin, mit dem ihn über viele Jahrzehnte eine herzliche Freundschaft verband, die sich auch in einer umfangreichen Korrespondenz äußerte.
Jünger wollte Weber in einen Aufsatz über die Künstler Alfred Kubin und Rudolf Schlichter einbeziehen. Dafür bedankte sich Weber am 12.4.1935: „Mir macht es Freude, daß Sie diesen Aufsatz doch noch schreiben wollen, dabei kam mir ein alter Gedanke hoch, den ich schon längst begraben hatte. Ich wollte schon lang einmal ein Doppelbildnis malen - ‘Gebrüder Jünger’. Was meinen Sie dazu - und könnten Sie die Geschichte organisieren? ... Wenn mir die Arbeit glückt - so gehört es Ihnen - als Gegengabe zu dem Aufsatz.“ In einem Brief Kubins vom 9.4.1938 ist die Rede von jener „Drei-Künstler-Publikation“, die „durch ein paar Clischeedrucke von Weber-Schlichter-Kubinschen Arbeiten“ gewinnen würde. Gemeinsamer Nenner wäre die Darstellung vom Untergang gewesen. Während Weber das Doppelbildnis malte, kam der Essay Jüngers hingegen nie zustande.
Die Neigung zum Porträt und zur Tier- und Landschaftsmalerei (Abb. 197-199) wird Weber zeitlebens nie ganz loslassen. Weit über 300 Gemälde sind so entstanden. Bis lange nach dem 2.Weltkrieg betonte er verschiedentlich, vor allem Maler und erst in zweiter Linie Graphiker zu sein.
Die Löwenapotheke in Göttingen
Erstaunlich bleibt, daß Weber bei den vielen Aufgaben, die von Seiten Toepfers auf ihn zukamen, noch Zeit hatte, sich anderen Projekten zu widmen. Er schrieb am 12.7.1934 an Walther Obermiller: „ ...augenblicklich arbeite ich an zwei größeren Aufträgen - an der Ausstattung des VDA [=Volksbund für das Deutschtum im Ausland]- Hauses in Hamburg und an 45 Schranktürbildern für die Homöop. Abtlg. [=Homöopathische Abteilung] der Löwen-Apotheke in Göttingen. Wenn ich damit zu Ende bin, werde ich ein Ausspannen nötig haben.“ Daß dies nicht unbedingt im Sinne Toepfers war, läßt sich denken, Weber beklagte es in einem Brief vom 8.10.1934 an Hans Schmidt-Gorsblock: „er ... sabotiert gern die Arbeit für andere und möchte mich wohl für sich alleine haben.“
Weber hatte Gerhard Willrich, den Inhaber der Löwen-Apotheke, schon kennengelernt, als er noch in der Nähe von Göttingen wohnte. Durch seine Arbeiten für die Beilage „Die junge Front“ im „Göttinger Tageblatt“ 1929 wurde Willrich auf ihn aufmerksam.
Das Interesse des Künstlers an Naturheilverfahren war stets groß: Von Paracelsus hatte er bereits zwei Porträt-Holzschnitte (Anm. 181), einen davon im aufwendigen Vierfarbdruck angefertigt, mit dem Heilpraktiker und Augendiagnostiker Emil Stramke (Anm. 182) wird ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden wie auch später mit dem Arzt Julius Hackethal, der der Schulmedizin kritisch gegenüberstand.
Willrich hatte seit 1895 einen Homöopathischen Verein in Göttingen betreut und war der erste Apotheker, der in Norddeutschland ein „Homöopathisches Kabinett“ einrichtete. Für die Apotheke unterhalb der St.Albani-Kirche (Rote Straße 41 / Mauerstraße) fertigte Weber in den Jahren 1932-34 Firmensignet, Briefkopf und mehrere Reklamegraphiken an. (Anm. 183) Er entwarf große, farbige Apothekengefäße mit figürlichen Darstellungen (Abb. 200), schnitzte Türleisten mit amüsanten medizinischen Darstellungen, bemalte die Giftschranktüren mit entsprechenden Pflanzen, fertigte bunte Holzfiguren für das Schaufenster, schuf farbige Federzeichnungen mittelalterlicher Ärzte, die in die Vertäfelung eines Arzneischrankes eingelassen wurden und gestaltete Glasfenster. 1939 entstand ein weiteres sechsteiliges Glasfenster mit medizinischen Motiven. Einschließlich der Entwürfe und Vorarbeiten sind fast 200 Werke für Willrich entstanden. Höhepunkt war jedoch die von Juni 1934 bis Januar 1935 ausgeführte bunte Bemalung der 45 Türen im „Homöopathischen Kabinett“ (Abb. 201), das von der Mauerstraße her separat zugänglich war. (Anm. 184) Ursprünglich hatte Gerhard Willrich nur mit einer einfachen Bemalung mit Blumenmotiven gerechnet. Nicht erwartet hatte er das großartige Panoptikum, das Weber lieferte: Das ausgefeilte Bildprogramm zeigte berühmte Heilkundige wie Paracelsus („Urvater“ der Naturheilkundler), Christian Fr. Samuel Hahnemann (Begründer der Homöopathie), Emil Willrich (Vater des Auftraggebers) und den Göttinger Harnbeschauer Austmeier. Auch die beiden Lehrlinge („Stifte“) der Löwenapotheke Jakob Beckmann und Fritz Jaep wurden von Weber als bildwürdig empfunden und durften den Löwen flankieren. Weiterhin gab es Patiententypen wie einen Bauern mit gebrochenem Arm, einen barfüßigen Rohköstler mit Karotten in der Manteltasche, einen fetten Gichtkranken mit Krücken, einen nackten Wassertreter mit Leibwickel, einen verwundeten Soldaten und einen Grippekranken mit Kerze, Buch, Glas und Wärmflasche (Abb. 202). Außerdem zeigten die Türen Heilpflanzen der unterschiedlichsten Arten und andere heilungsbringende Dinge im homöopathischen Sinne, wie etwa Quecksilber, Kröte, Spinne, Tintenfisch und Schlange sowie einen Bergkristall, den ein nacktes Mädchen in der Hand hält. Auch konnte man Hinweise auf die Hersteller homöopathischer Mittel, wie Carl Müller (Göttingen) oder Richard Mauch (Bad Honnef), erkennen, die Weber in amüsanten „Bilderrätseln“ mit lustigen Zwergen einfallsreich gestaltete.
Eine Tür ist dem Löwen als Wappentier der Apotheke vorbehalten, eine weitere dem Tod, der in der Inschrift fragt: „Und welches Kraut ist für mich gewachsen?“ Auch für diese Aufgabe trieb Weber ein akribisches Detailstudium, besonders für die verschiedenen Pflanzen. Es bleibt ein erstaunliches Wagnis, einen Bereich, dem an Seriosität gelegen sein mußte, mit einem derartig skurrilen und humorigen Bildprogramm zu illustrieren, das in seiner Art einmalig ist.
Anmerkungen
(Anm. 001) Vgl. zum Folgenden auch: Joseph E. Drexel: Der Fall Niekisch. Köln, Berlin. 1964. - Friedrich Kabermann: Widerstand und Entscheidung eines deutschen Revolutionärs. Leben und Denken von Ernst Niekisch. Köln 1973. - Uwe Sauermann (Hrsg.): Ernst Niekisch: Widerstand. Krefeld 1982 (Schriftenreihe edition d . Bd. 3) - Ders. : Die Zeitschrift „Widerstand“ und ihr Kreis. Diss. Augsburg 1984. - Birgit Rätsch-Langejürgen: Das Prinzip Widerstand. Leben und Wirken von Ernst Niekisch. Bonn 1997. - Michael Pittwald: Ernst Niekisch. Völkischer Sozialismus, nationale Revolution, deutsches Endimperium. Köln 2002.
(Anm. 002) Widerstand. 1926. H.1, S.1.
(Anm. 003) Pittwald a.a.O., S.12 f.
(Anm. 004) Sebastian Haffner: Ernst Niekisch. In: Preußische Profile. Königstein/Ts. 1980, S.258.
(Anm. 005) Ernst Niekisch: Politik deutschen Widerstandes. Was will die Widerstandsbewegung? Berlin 1931, S.27 f.
(Anm. 006) Ebd. S.26 f.
(Anm. 007) Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln 1958, S.145.
(Anm. 008) Urteil des Volksgerichtshofes in Berlin (Az.:8J 214/37. 1 H 31/38, S. 20-22).
(Anm. 009) Unveröffentlichter Bericht von Ernst Kallmann, 3.-5.10.1930.
(Anm. 010) Gerhard Roßbach, Begründer eines Freikorps, das nach dem 1.Weltkrieg im Baltikum kommunistische Truppen bekämpfte.
(Anm. 011) Friedrich Reck-Malleczewen: Tagebuch eines Verzweifelten. Nördlingen 1958, S.180 f.
(Anm. 012) Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln 1958, S.142.
(Anm. 013) Leopold von Ranke: Zwölf Bücher preußischer Geschichte. Berlin 1929 (4 Bde.) - Vgl. Schumacher Illustriertes Werk, II, 50.
(Anm. 014) Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln 1958, S.142 f.
(Anm. 015) Vgl. Kameradschaft Freikorps und Bund Oberland (Hrsg.): Für das stolze Edelweiß. Bild- und Textband zur Geschichte von Freikorps und Bund Oberland. München 1996.
(Anm. 016) Ernst H. Posse: Die politischen Kampfbünde Deutschlands. Berlin 1931, S. 46.
(Anm. 017) Arthur Moeller van den Bruck: Das dritte Reich. Berlin 1923.
(Anm. 018) Heinrich August Winkler: Abschied von der Abweichung. Deutschland am Ende seiner Sonderwege. In: Die Zeit, Nr.51, 14.12.2000, S.53.
(Anm. 019) Josef (Beppo) Römer (1892 - 1944). Jurastudium. Teilnahme am 1.Weltkrieg bei der Artillerie. 1919 Freikorps Oberland, 1921 „Stabschef“ in Oberschlesien. 1922 Promotion. 1923 Ausschluß aus dem Bund Oberland. 1932-33 Herausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift „Aufbruch“. 1934-39 verhaftet wegen Vorbereitung zum Hochverrat. 1939-42 Aufbau von Widerstandsgruppen in München und Berlin. 1942-44 verhaftet wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung. Todesurteil durch den Volksgerichtshof.
(Anm. 020) Friedrich Weber (Frankfurt am Main 1892 - 1955 München). Studium der Tiermedizin. 1914 Führer des Bayerischen Wandervogels. Im 1.Weltkrieg überwiegend beim deutschen Alpenkorps. 1920 Freikorps Epp. 1921 Freikorps Oberland. 1924 Hochverratsprozeß nach Teilnahme am „Hitler-Putsch“. 9 Monate Haft in Landsberg. Tierarzt in Euerdorf. 1933 Veterinärmedizinalrat im Bayerischen Innenministerium. 1934 Berufung nach Berlin. 1938-45 Reichstierärzteführer. 1945-48 Internierung; anschließend Tierarzt in Dorfen (Bayern).
(Anm. 021) Der Verleger Julius Friedrich Lehmann, Schwiegervater Friedrich Webers, hatte die Burg 1920 gekauft und stellte sie später dem Bund Oberland für Schulungskurse und Führertagungen zur Verfügung.
(Anm. 022) Joseph Eduard Drexel (München 1896 - 1976 Nürnberg). 1914-18 Kriegsfreiwilliger. Funker bei der Bayerischen Fliegertruppe. Mitglied verschiedener Freikorps (Rauscher, Epp, Oberland). Studium der Volkswirtschaft in München und Erlangen. 1923 Promotion. Mitglied im Bund Oberland, ab 1925 in der Bundesführung und Kreisleiter von Mittelfranken. 1926 Bekanntschaft mit Niekisch auf einer Oberlandtagung. Syndikus beim Bayerischen Industriellenverband. 1929 Prokurist und Abteilungsleiter der Nürnberger Lebensversicherungsbank. Enge Zusammenarbeit mit Niekisch im „Widerstandskreis“. Freundschaft mit Weber, die auch nach dem 2.Weltkrieg - trotz gelegentlicher Verstimmungen - anhielt.
März 1937 Verhaftung. Im Oktober Überführung nach Berlin. Gestapohaft in Moabit. Januar 1939 Prozeß vor dem Volksgerichtshof: vier Jahre Zuchthaus wegen Vorbereitung zum Hochverrat. Strafanstalt Amberg. Nach dem 20. Juli 1944 erneut verhaftet. Konzentrationslager Mauthausen und Flossenbürg. Anfang 1945 entlassen. Nach dem 2.Weltkrieg Publizist. Gründer und Mitinhaber der „Nürnberger Nachrichten“. Ehrenbürger der Stadt Nürnberg.
(Anm. 023) Karl Christoph Tröger (Hof 1900 - 1945 Schmerzke bei Brandenburg). 1918 Infanterie. 1919 Freikorps Epp. Jahrzehntelange Freundschaft mit Joseph Drexel. Jurastudium. 1921 Freikorps Oberland. Beteiligt an der Erstürmung des Annaberges in Schlesien und an Sabotageaktionen gegen die Franzosen im Ruhrgebiet. Mitglied im Bund Oberland, 1926 in der Bundesleitung. 1927 Rechtsanwalt in Bayreuth; schon bald Wechsel zur Zollverwaltung. 1931 Regierungsrat in Nürnberg. 1934 Vorsteher des Hauptzollamtes Rosenheim. Enger Kontakt zu Niekisch und Weber; Ölporträt „Der Grenzer“. 1937 Verhaftung. 1939 im gemeinsamen Prozeß (Niekisch, Drexel) zu 1 Jahr 9 Monaten Gefängnis verurteilt, die durch die U-Haft abgegolten waren. Freiwilligenmeldung zu Beginn des 2.Weltkrieges.
(Anm. 024) Helmut Beer: Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Nürnberg 1933-1945. Nürnberg 1976, S.242 f.
(Anm. 025) Beer, a.a.O., S.243.
(Anm. 026) Robert Fritzsch: Nürnberg unterm Hakenkreuz. Düsseldorf 1983, S.52.
(Anm. 027) Vgl. Schumacher Illustriertes Werk, VI, 39.
(Anm. 028) Pittwald a.a.O., S.66.
(Anm. 029) Ab 1934 zeigte der Umschlag, ebenfalls nach einem Entwurf von Weber, einen Adler mit Schwert und Sichel in den Fängen, auf der Brust einen Hammer. Hierdurch wurde das preußische Staatssymbol mit den Insignien des Bolschewismus verbunden und zeigte damit die programmatische Einstellung des „Widerstandskreises“.
(Anm. 030) Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln 1958, S.143.
(Anm. 031) Wilhelm Stapel: A. Paul Weber als satirischer Zeichner. In: Deutsches Volkstum. 1929. H.11, S.876 f.
(Anm. 032) Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln 1958, S.143 f.
(Anm. 033) Widerstand. 1929. H.7, S.197.
(Anm. 034) Der Vormarsch. Blätter der nationalistischen Jugend. 1.Jg., Folge 8, Januar 1928, S.187.
(Anm. 035) Ernst Niekisch: Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung. In: Widerstand. 1929. H.9, S.260.
(Anm. 036) 1929 fand sich die Weber-Graphik auf dem Titelblatt von Gregor Strassers Broschüre: „58 Jahre Young-Plan“, die im Kampf-Verlag in Berlin erschien. Strasser war Führer des sozialrevolutionären Flügels der NSDAP und Hitlers gefährlichster Konkurrent in der Frühzeit der nationalsozialistischen Bewegung. Er stand Niekisch in seinem proletarischen Anti-Kapitalismus nicht fern.
(Anm. 037) Aus dem Vorwort von Ernst Niekisch zu: Kunst im Widerstand. Malerei, Graphik, Plastik 1922 bis 1945 (Hrsg. Erhard Frommhold). Dresden, Frankfurt/M. 1968, S.10.
(Anm. 038) Widerstand. 1930. H.3, S.69.
(Anm. 039) Widerstand. 1930. H.5, S.137.
(Anm. 040) Paul Schultze-Naumburg (Naumburg-Almrich 1869 - 1949 Jena). Ab 1886 Studium an der Kunstgewerbeschule Karlsruhe, 1887-93 an der dortigen Kunstakademie und zwei Semester an der Technischen Hochschule. 1893 München, ab 1897 freischaffend in Berlin. 1901-03 Aufbau einer privaten Zeichen- und Malschule in Saaleck bei Bad Kösen. 1907 einer der Begründer des Deutschen Werkbundes. Kulturreformerische Ideen. In den 20er Jahren Mitbegründer der konservativen Architektenvereinigung „Der Block“ und Mitglied in Alfred Rosenbergs „Kampfbund der deutschen Architekten und Ingenieure“, den er ab 1931 leitete. Entschiedener Gegner des „Neuen Bauens“. 1930 Direktor der Staatlichen Hochschule für Baukunst, bildende Kunst und Handwerk in Weimar. Zahlreiche kunstpädagogische und kulturtheoretische Publikationen. Beteiligung an Aktionen gegen die „entartete Kunst“ und Apologet des „Rassismus“. Hoher Bekanntheitsgrad durch zahlreiche Bauprojekte. Mitte der 30er Jahre Bruch mit Hitler wegen der Pläne für die Nürnberger Oper. 1944 Ehrenbürger der Städte Weimar und Jena. Nach dem Krieg Verelendung und Erblindung.
(Anm. 041) Staatsarchiv Hamburg. 213-11 StA Landgericht, Strafsachen 8236/41 Strafsache Alfred Toepfer Handakte Bd. 1, Beiakte 2: Gestapo-Akte Juni-Nov.1937, Bl.70.
(Anm. 042) Ebd., Bl.70.
(Anm. 043) Widerstand. 1931. H.4, S.101.
(Anm. 044) Sperling Handwerk und Kunst, S.142.
(Anm. 045) Widerstand. 1931. H.9, S.273.
(Anm. 046) Widerstand. 1932. H.12, S.371.
(Anm. 047) Widerstand. 1934. H.5, S.144.
(Anm. 048) Widerstand. 1932. H.9, S.265.
(Anm. 049) Widerstand. 1933. H.1, S.23.
(Anm. 050) Widerstand. 1933. H.12, S.365.
(Anm. 051) Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln 1958, S.144.
(Anm. 052) Widerstand. 1934. H.6, S.196.
(Anm. 053) Widerstand. 1934. H.10, S.344.
(Anm. 054) Von beiden Editionen sind keine Exemplare nachweisbar. Möglicherweise gehörten dazu die Lithographien „Der Bazillus (Fischer, Taf.31), „Der arme Esel“ (Dorsch Lithographien, Nr.172), „Die Furcht“ (Fischer, Taf.36), „Diner im Haag“ (Dorsch Lithographien, Nr. 493), „Die Stiefellecker“ (ebd., Nr.1644), „Die Ungeborenen“ (ebd., Nr.2496), „Eingewickelt“ (ebd., Nr.572), „Der Schlotbeißer“ (ebd.,Nr.2168), „Überwindung der brandenburgisch-preußischen Geschichtspsychose“ (ebd., Nr.2472). Weber schrieb im Einleitungsentwurf zu einem geplanten Lithographie-Verzeichnis: „ ... in Göttingen b. Viktor Wurm [dem Herausgeber des „Göttinger Tageblatts“], der damals noch eine Lith.-Abteilung besaß [schuf ich] eine Reihe von 10 - 12 Blatt politisch kritischer Themen.“ Hinzu kamen wahrscheinlich noch die Lithographien zum Buch von Menckens „Demokratenspiegel“.
(Anm. 055) Ernst Niekisch: Das Dritte Reich. In: Widerstand. 1930. H.5, S.135.
(Anm. 056) Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln 1958, S.250.
(Anm. 057) Az. VI. 3/688.33.
(Anm. 058) Oberste SA-Führung, Chef des Ausbildungswesens, 27.2.1934.
(Anm. 059) Alfred Baeumler: Statt eines besonderen Vorwortes! Widerstand. Zeitschrift für nationalrevolutionäre Politik. Ernst Niekisch und A. Paul Weber. In: Bücherkunde der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums. 1934, S.201/ I
(Anm. 060) Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln 1958, S.251.
(Anm. 061) Ebd., S.226 f.
(Anm. 062) Ebd., S.227.
(Anm. 063) Ebd., S.227.
(Anm. 064) 1973 wurde im Rahmen einer Verwaltungs- und Gebietsreform aus 16 Ortschaften, unter denen Reinhausen mit 1380 Einwohnern der größte Ortsteil ist, die Gemeinde Gleichen gebildet.
(Anm. 065) „Verzeichniß der Anziehenden ... Nr.1478 Weber, Paul, Kunstmaler.“ Irrtümlich wird hier der älteste Sohn Christian als Tochter Christine aufgeführt.
(Anm. 066) Das Haus wurde um 1895 vom Amtsgerichtsrat von Goeben erbaut. Später übernahm der wohlsituierte Beamte Kleinschmidt das Anwesen. Nach dessen Tod vermietete die Witwe, eine dilettierende Kunstmalerin, das Haus.
(Anm. 067) Harald Isermeyer: Ein politischer Künstler aus der Jugendbewegung. A. Paul Weber (1893-1980). In: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung. Bd. 14/1982-83, Stiftung Jugendburg Ludwigstein (Hrsg.), Witzenhausen 1983, S.264.
(Anm. 068) Max Heubes (Hrsg.): Das Ehrenbuch der Feldeisenbahner. Verlag Tradition Wilhelm Kolk, Berlin 1931.
(Anm. 069) Gespräche Helmut Schumachers mit Anna Ludolf, Edith Buhr, Gertrud und Karl Hartleb (alle Reinhausen), 1995.
(Anm. 070) Benannt nach dem Schriftsteller Gottfried August Bürger.
(Anm. 071) August Borms (Sint-Niklaas 1878 - 1946 Etterbeek). 1896-1902 Studium der Germanistik an der Katholischen Universität Leuven. Hauslehrer bei Minister Descamps in Leuven. Promotion. Lehrer in Nijvel. 1903-1906 in Peru. Lehrer in Gent, Mechelen, Antwerpen und Merksem. Schon vor dem 1.Weltkrieg ausgeprägte politische Tätigkeit mit dem Ziel der Trennung Flanderns von der Wallonie, dem französisch geprägten Süden Belgiens. Noch 1914 proniederländische, resolut antideutsche Einstellung. Unter dem Einfluß des „Aktivismus“, vor allem durch den in Antwerpen operierenden deutschen Agenten Max Gerstenhauer, Radikalisierung des flämisch-nationalen Gedankens (Jong-Vlaanderen). Nach dem Waffenstillstand 1918 Flucht nach Deutschland. Der wortgewaltige Redner Borms (gen. „Die Glocke von Flandern“) wurde nach seiner Rückkehr am 8.2.1919 verhaftet. Prozeßbeginn: 2.9.1919. Nach einer Woche zum Tode verurteilt. Diese Strafe wurde in lebenslange Haft umgewandelt. 1921 Angebot der Freilassung mit der Auflage, künftig auf jede politische Tätigkeit zu verzichten. Borms lehnte ab. Bereits 1924 wollte ihn „Het Vlaamsche Vront“ als Wahlkandidaten aufstellen, eine Provokation, da Borms - nach dem Verlust der bürgerlichen Rechte - gar nicht wählbar war. 1928, Borms war seit Jahren der letzte Inhaftierte der aktivistischen Bewegung und längst zum Märtyrer („Der ungekrönte König von Flandern“) geworden, stellte man ihn zum Kandidaten für die Abgeordnetenwahlen in Antwerpen auf. In der sog. „Bormswahl“ siegte er am 9.12.1928 gegen den frankophilen Paul Baelde mit 83.058 gegen 44.410 Stimmen. Die Wahl wurde von der Regierung zunächst für ungültig erklärt, auf Grund einer Amnestie jedoch schließlich anerkannt. Entlassung am 17.1.1929 und triumphaler Empfang in Antwerpen. Bewundert von den militanten Freiheitskämpfern, verfügte Borms nur über beschränkte politische Führungsqualitäten. Kurz nach Beginn des 2.Weltkrieges erneute Verhaftung und Abtransport nach Orleans. Freilassung nach der französischen Kapitulation im Sommer 1940. Rückkehr nach Antwerpen. Propagandistische Tätigkeit für eine flämische Beteiligung am Krieg Deutschlands gegen die Sowjetunion. 1944, nach der Landung der Alliierten in der Normandie, Flucht nach Deutschland. Verhaftung im August 1945 und im Oktober 1945 durch einen Kriegsrat zum Tode verurteilt. Am 12.2.1946 Erschießung in der Kaserne von Etterbeek.
(Anm. 072) Weber zeichnete 1958/59 unter dem Titel „Das Bildungspflänzchen“ das Motiv neu; es wurde nun ganz anders interpretiert und als Protest gegen ein die Schüler überforderndes Schulsystem gedeutet.
(Anm. 073) Kutzleb schrieb 1936/37 in seinem Manuskript „Rechtfertigung“ (S.11): „Weber hatte die eigentümliche Angewohnheit, Menschen, die ihm eine Zeitlang besonders nahe gestanden hatten, plötzlich und mit einer schwer erklärlichen Heftigkeit fallen zu lassen. Seine Freundschaft schlug in Gehässigkeit um, fast als schäme er sich des vorigen Gefühls. Unsere Freundschaft und gemeinsame Arbeit hat zwölf Jahre gedauert; das war für Webers Art sehr lang.“
(Anm. 074) Henry Louis Mencken (Baltimore 1880 - 1956 Baltimore). Sohn eines deutschstämmigen Zigarrenfabrikanten; unter den Vorfahren finden sich auch einige sächsische Gelehrte. Als Sprachforscher, Journalist und Kulturkritiker verspottete er erbarmungslos das spießbürgerliche Amerika und setzte sich für die Verbreitung der Werke Nietzsches und Shaws in den USA ein. Während des 1.Weltkrieges Korrespondent in Deutschland und Rußland. 1914-23 Mitherausgeber des Kulturmagazins „The Smart Set“. 1919 erschien sein Standardwerk „The American Language“, das später ergänzt noch mehrfach aufgelegt wurde. 1924 Mitbegründer der Literaturzeitschrift „The American Mercury“ (bis 1933 Mitherausgeber). Wegbereiter der literarischen Anerkennung Mark Twains und Theodore Dreisers. Sozialdarwinistische und nietzscheanische Gedanken führten bei Mencken zu einer Angst vor Überfremdung. Die USA schienen ihm ein „Commonwealth drittklassiger Menschen“. Demokratie sah er als Versuch, „den Zirkus vom Affenkäfig aus zu dirigieren“. Sein böser Witz und der virtuose Stil brachten dem „Bad Boy of Baltimore“ viele Feinde ein. 1928 konnte er Beschimpfungen, die es schier endlos auf ihn gab, in „Menckeniana. A Schimpflexikon“ zweitverwerten. Mencken war unter den Intellektuellen der Weimarer Republik kein Unbekannter. Franz Blei hatte „In Defense of Women“ ins Deutsche übertragen („Zur Verteidigung der Frau“). 1947 veröffentlichte der „begnadete Querulant“ die autobiographische Schrift „The days of Henry Louis Mencken“.
(Anm. 075) A. Paul Weber: Handschriftlicher Einleitungsentwurf für ein geplantes Lithographie-Verzeichnis, 1965 (Archiv des A. Paul Weber-Museums, Ratzeburg).
(Anm. 076) Vgl. Dorsch Lithographien, Nr.2599.
(Anm. 077) „O wie nobel / Ist der Wrobel [ = Pseudonym Tucholskys] / Unser grauser Archischmock! Er weiß Hindenburg zu binden / An der Schande schwarzen Pflock./ Seht det Luda, / Stolz von Juda, / In dem roten Trotzkirock! / Allen Kallen / Werd gefallen / Mausche Moritz Tintenbock.“ (ebd., S.40).
(Anm. 078) Vossische Zeitung, 29.6.1930. - Am 30.6.1975 schrieb die Witwe Mary Tucholsky, gleichzeitig Leiterin des Kurt Tucholsky-Archives: „Sehr verehrter Herr A. Paul Weber, Ihren seit langem erwarteten KRITISCHEN KALENDER 1975 habe ich erhalten und danke Ihnen sehr herzlich dafür. Ich freue mich, diese neuste Ausgabe im Archiv zu besitzen und meinen Archivbesuchern Ihre grandiosen Karikaturen vorführen zu können.“
(Anm. 079) Sebastian Haffner u. Wolfgang Venohr: Preußische Profile. Königstein/Ts. 1980, S.253.
(Anm. 080) Pittwald, a.a.O., S.74.
(Anm. 081) Das in 1.Auflage 1953 erschienene Buch „Das Reich der niederen Dämonen“ soll nach Niekischs Angaben identisch mit dem Manuskript „Geheimnis des Reichs“ von 1937 sein.
(Anm. 082) BA Potsdam. Reichssicherheitshauptamt. R 58/753. Bericht der Gestapo Berlin vom 13.4.1937 über den Widerstandskreis, S.11 (vgl. Pittwald, a.a.O., S.74).
(Anm. 083) Ernst Jünger: Jahre der Okkupation, 1958, S.249 f.
(Anm. 084) Ernst Niekisch: Hitler - ein deutsches Verhängnis. Berlin 1932, S.19. 3 Die Bilder sind in der Broschüre ohne Titel. Im Februar erschien die Zeichnung auch im „Widerstand“ (1932. H.2, S.47) unter dem Titel „Deutsches Verhängnis“.
(Anm. 086) Das Original verkaufte Weber in den 30er Jahren an Walther Obermiller, der es über den 2.Weltkrieg rettete. In den 50er Jahren erbat sich Weber das Blatt leihweise für eine Ausstellung und überarbeitete einige Partien im Himmel durch dichtere Schraffuren (heute im A. Paul Weber-Museum, Ratzeburg, Inv.760)
(Anm. 087) Ernst Niekisch: Hitler - ein deutsches Verhängnis. Berlin 1932, S.36.
(Anm. 088) Rudolf Zeitler: A. Paul Webers Zeichnungen zu Ernst Niekischs Schrift Hitler - ein deutsches Verhängnis. In: Günther Nicolin: A. Paul Weber. 50 Jahre danach. Hamburg 1983, S.44.
(Anm. 089) Urteil des Volksgerichtshofes in Berlin (Az.: 8J 214/37. 1 H 31/38, S.31).
(Anm. 090) Niekisch Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln 1958, S.144.
(Anm. 091) Zitiert nach Lapp Bilder gegen den Ungeist der Zeit, S.174.
(Anm. 092) Friedrich Georg Jünger (Hannover 1898 - 1977 Überlingen). Kriegsfreiwilliger im 1. Weltkrieg, schwere Verwundung in Flandern. Studium der Rechtswissenschaft in Leipzig und Halle. Promotion. 1926 freier Schriftsteller und Publizist in Berlin. Ab 1928 enge Beziehung zum Kreis um Ernst Niekisch. Erneuerer klassischer Lyrik aus antikem Lebensstil und -gefühl, der das Schöne zum obersten Prinzip aller Ästhetik erhob. Nach dem 2.Weltkrieg machten ihn die Gedichtzyklen „Die Silberdistelklause“, „Das Weinberghaus“ und „Die Perlenschnur“ (alle 1947) bekannt. Heftig diskutiert wurde „Die Perfektion der Technik“, dessen Erstausgabe 1944 mit dem Untertitel „Illusionen der Technik“ bis auf wenige Exemplare im Bombenhagel unterging. Es war, als Gegenstück zu Ernst Jüngers „Der Arbeiter“, eine Kritik an der Technikgläubigkeit, die zur Besinnung auf das wahre Wesen des Menschen aufrief. In „Maschine und Eigentum“ (1949) kritisierte Friedrich Georg Jünger den Automatismus und erörterte die Umformung der Person zum technischen Bestandteil. Mehrere autobiographische Schriften, zahlreiche Literaturpreise.
(Anm. 093) Peter de Mendelssohn (Hrsg): Thomas Mann. Tagebücher 1933-1934, Frankfurt am Main 1977.
(Anm. 094) Alexander Mitscherlich (München 1908 - 1982 Frankfurt/M.). 1928-32 Geisteswissenschaftliche Studien in München, Berlin und Freiburg i.Br. Mehrere Verhaftungen wegen politischer Betätigung. Ab 1935 Medizinstudium in Zürich und Heidelberg, wo er 1949 die Abteilung für psychosomatische Medizin an der Universität gründete und ab 1952 als Professor leitete. Beobachter beim Nürnberger Prozeß gegen NS-Ärzte. Seit 1947 Herausgeber der Zeitschrift „Psyche“. 1959-76 Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt a. M. Verheiratet mit der Ärztin und Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich-Nielsen, mit der er gemeinsam „Die Unfähigkeit zu trauern“ verfaßte. Zahlreiche Veröffentlichungen und Preise, darunter 1969 der Friedenspreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.
(Anm. 095) Wilhelm Lehmann (Puerto Cabello/Venezuela 1882 - 1968 Eckernförde). Aufgewachsen in Hamburg-Eimsbüttel. 1900-05 Studium der Philologie (Deutsch, Englisch) in Tübingen, Straßburg, Berlin und Kiel. 1905 Promotion. Lehrer in Eldena, Kiel, Neumünster. 1912-20 Freie Schulgemeinde Wickersdorf. 1917 erschien sein erster Roman „Der Bilderstürmer“. 1917-19 Kriegsdienst und Gefangenschaft. 1920-23 Lehrer im „Landschulheim am Solling“ bei Holzminden, von da an bis zur Pensionierung 1947 in Eckernförde. 1949 Gründungsmitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt. Zahlreiche Ehrungen, u.a. Kunstpreis des Landes Schleswig-Holstein (1951), Universitäts-Medaille Kiel (1952), Lessing-Preis der Stadt Hamburg (1953), Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (1957). Lehmann wurde durch Gedichtsammlungen wie „Der grüne Gott“ (1942), „Entzückter Staub“ (1946) und „Überlebender Tag“ (1954) zum Vorbild einer Generation von Lyrikern.
(Anm. 096) Karl Krolow: Traum vom Sinn der Erde. In: Das literarische Deutschland, 2.Jg. Nr.21 (10.11.1951).
(Anm. 097) Brief von Elisabeth Langgässer an Wilhelm Lehmann, 31.3.1949.
(Anm. 098) Isermeyer Widerstand , S.35.
(Anm. 099) Ebd., S.35.
(Anm. 100) Rudolf Fischer: Der Zeichner A. Paul Weber. In: Widerstand. 1929. H.12, S.377-380, hier S.380.
(Anm. 101) Erich Sperling (Burg b. Magdeburg 1904 - 1944 Jugoslawien). Nach einer Bildhauerlehre Studium an der Kunstgewerbeschule Magdeburg, der Kunsthochschule Weimar (Prof. Engelmann) und an der Kunsthochschule Berlin (Prof. Röll). Seit 1930 freischaffender Holz- und Steinbildhauer sowie Graphiker in Düsseldorf und Dabringhausen. Um 1936 Ölporträt Ernst Wiecherts. Ab 1937 Direktor der Staatlichen Bildschnitzerschule in Empfertshausen. 1943 Veröffentlichung: Neue deutsche Bildschnitzkunst. 1944 vermißt in Jugoslawien.
(Anm. 102) Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln 1958, S.144 f.
(Anm. 103) Vgl. ebd., S.260-267.
(Anm. 104) Ebd., S.144 f.
(Anm. 105) Ebd., S.145.
(Anm. 106) Theo Schneider (Bamberg 1914 - 1993 Nürnberg). Nonnenerziehung im Waisenhaus. 1928 Lehre als Konfektionsverkäufer. Beitritt zum Bund Oberland (Ölporträt „Der Oberländer“ von Weber) Freundschaft mit Viktor Müller und Joseph Drexel. Mitglied des Nürnberger „Widerstandskreises“. 1933 arbeitslos. Fahrt zu Ernst Niekisch nach Berlin. Der Plan, in die Sowjetunion zu emigrieren, wurde fallen gelassen. Auf Empfehlung Niekischs Unterkunft bei Weber auf dem Brümmerhof. Tiefe Freundschaft mit Weber bis zum Lebensende. 1935 Fliegerhorst Kaufbeuren. 1936 Versetzung nach Celle (Fluglehreranwärter), später nach Braunschweig. Verhaftung am 14.4.1937. Heeresarrestanstalt Hannover, Feldgericht Berlin, Untersuchungsgefängnis Nürnberg. 1938 ohne Verhandlung amnestiert. Bauhilfsarbeiter. Reisechauffeur der Rasierpinselfabrik Hiltner. 1940-43 zu den Landesschützen bei Gunzenhausen. Außenlandeflugplatz bei Metz, von hier nach Kiew zum Meteorologischen Institut. Rückkehr März 1943. Luftwaffenfelddivision Bergen. Frankreich, Niederlande (Walcheren), Juni 1944 Italien. Verwundung durch Granatsplitter. Lazarettaufenthalt in Riva. 1945 Gründung eines selbständigen Transportgeschäftes. Zunächst Nahverkehr, 1952 Nürnberg-Hamburg. Um 1955 internationale Konzession (Frankreich), ab 1964 Hauptbereich Deutschland-Italien.
(Anm. 107) Alfred Toepfer (Altona 1894 - 1993 Hamburg). Abendschulkurse zum Erwerb der Mittleren Reife. 1912 Mitglied im Wandervogel, 1913 Teilnahme am ersten Freideutschen Jugendtag auf dem Hohen Meißner. Kriegsfreiwilliger im 1.Weltkrieg. 1919 Offizier im Freikorps Maercker. Gründung einer Im- und Exportfirma (Getreide). 1922 Heirat mit Emma Klima, sechs Kinder. 1927 Kontakt zu Niekisch und dessen „Widerstandskreis“. 1928 Stiftung dreier Jugendherbergen, die Anfang der 30er Jahre von Weber ausgestaltet wurden. 1931 Errichtung der Stiftungen F.V.S. (Hamburg) und J.W.G. (Vaduz). Ab 1932 Erwerb von vier landwirtschaftlichen Betrieben für die Stiftung F.V.S., die ebenfalls von Weber künstlerisch betreut wurden. 1936 erstmalige Vergabe von Kulturpreisen durch Tochterstiftungen der Stiftung F.V.S. Juni 1937 Verhaftung wegen Verdachtes eines Vergehens gegen Devisengesetze. Mai 1938 Entlassung aus der Untersuchungshaft unter verschiedenen Auflagen. 1939 Niederschlagung des Ermittlungverfahrens. Von 1940-45 Teilnahme am 2.Weltkrieg (u. a. Den Haag, Paris, Potsdam). 1945-47 Internierung durch britische Besatzungsbehörden; Verhöre auch durch französische Militärdienststellen. Einstufung im Rahmen der Entnazifizierung als „nicht belastet“. 1948 Übernahme der Firma „ACT“, im Jahr darauf erneut Beginn der Stiftungstätigkeit. Hinwendung zum Naturschutz sowie der Denkmal- und Heimatpflege. 1953 Vorsitzender des „Vereins Naturschutzpark“. In seiner Amtszeit (bis 1985) entstanden 64 Natur- und Nationalparke. 1991 Ausscheiden als Vorstand der Stiftung F.V.S. Zu diesem Zeitpunkt waren über die beiden Stiftungen F.V.S. und J.W.G. rund 200 Millionen Mark für Preise und Stipendien ausgeschüttet worden. Die Freie und Hansestadt Hamburg verlieh ihm die Ehrenbürgerwürde; ca. 100 weitere Ehrungen wurden ihm national und international für sein Lebenswerk zuteil.
(Anm. 108) Diese Spende an das Deutsche Jugendherbergswerk wurde später auf 150.000 Reichsmark erhöht.
(Anm. 109) Hans Schmidt-Gorsblock: Die Jugendherberge auf dem Knivsberg in Nordschleswig. Tondern 1933, S.9.
(Anm. 110) Vgl. Schumacher Exlibris, Nr.143-146.
(Anm. 111) Heinrich Bodenstein: Joseph Haydn-Jugendherberge Bernstein im Burgenland. Wittingen 1935, S.15.
(Anm. 112) Wolandt Künstler und Werk, Abb. 60.
(Anm. 113) Brief von Alfred Toepfer an Johannes Schmidt-Wodder, 21.7.1933.
(Anm. 114) Hans Schmidt-Gorsblock (Hof Gorsblock bei Lügumkloster, Nordschleswig 1889 - 1982 ebd.) 1896-1908 Schulbesuch in Norderlügum, 1908-11 Lehrerseminar in Tondern. Lehrer in Norburg auf Alsen, wo er seine spätere Frau kennenlernt. 1914-18 Soldat in Frankreich und Rußland; noch im Jahr der Rückkehr Heirat mit Misse Madsen. 1919 Übernahme des väterlichen Hofes, da zwei ältere Brüder im Krieg gefallen waren. Um 1925 Beginn der schriftstellerischen Tätigkeit. Rege Mitarbeit innerhalb der deutschen Volkstumsgruppe. 1931 Freundschaft mit Weber durch die gemeinsame Arbeit beim Entstehen der Julius-Langbehn-Jugendherberge auf dem Knivsberg. Herausgeber des Deutschen Volkskalenders Nordschleswig, für den er auch Webers Mitarbeit gewinnt. Bis 1944 fünf Reisen Webers zu Schmidt-Gorsblock, der den Künstler auch während dessen Haftzeit 1937 unterstützt. Nach 1945 Rezitationsabende in Nordschleswig und zahlreiche Veröffentlichungen. 1950-54 erneute Tätigkeit an der deutschen Schule von Lügumberg. 1979 Lornsenkette des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes für seine vielseitige Heimatarbeit.
(Anm. 115) Schmidt-Gorsblock a.a.O., S.9.
(Anm. 116) Ebd., S.12 f.
(Anm. 117) Das Bild gelangte nach dem 2.Weltkrieg an Weber zurück und wurde dem Weber-Museum Ratzeburg übergeben. 1994 wurde es auf Betreiben von Toepfer in die Jugendherberge zurückgebracht.
(Anm. 118) Hjalmar Kutzleb: Die Hans Breuer-Jugendherberge in Schwarzburg im Thüringer Wald. Wittingen 1933, S.5.
(Anm. 119) Vgl. Winfried Mogge: Bilder aus jugendbewegtem Erleben. In: Der Eisbrecher. 1987, H.4., S.277- 280.
(Anm. 120) Heinrich Steinmeyer: Hans Breuer. Weimar 1932, S.5.
(Anm. 121) Ebd., S.4.
(Anm. 122) Ebd., S.47; Hugo Fischer, Taf.11.
(Anm. 123) Der Fahrende Gesell. 1933, H.1/2, S.25.
(Anm. 124) Ebd., S.25.
(Anm. 125) Kutzleb a.a.O., S.5.
(Anm. 126) Heinrich Bodenstein: Joseph Haydn-Jugendherberge Bernstein im Burgenland. Wittingen 1935, S.15 f.
(Anm. 127) Peter Hopp: Alfred Toepfer, A. Paul Weber und Schmidt-Wodder in den Jahren 1930 - 1938. In: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte. 109. 1984, S.256.
(Anm. 128) Schumacher Gebrauchsgraphik, Nr.317 f.; Schumacher Illustriertes Werk, I, 82.
(Anm. 129) Brief von Weber an Georg Grote, 17.2.1933.
(Anm. 130) Gespräch Webers mit Helmut Schumacher 18.4.1978. - Vgl. Schumacher Exlibris, S.139, Anm.6.
(Anm. 131) Ebd., S.138.
(Anm. 132) Schumacher Illustriertes Werk, I, 77.
(Anm. 133) Deutscher Volkskalender Nordschleswig 1933, S.119.
(Anm. 134) Niederdeutsche Welt. 1933, H.7, S.177.
(Anm. 135) Vgl. Hans-Jürgen Vogtherr: A. Paul Webers Zeit auf dem Brümmerhof von 1933 bis 1936. Suderburg 1988.
(Anm. 136) 1984 in das Freilichtmuseum Hösseringen versetzt, während die „Villa“ heute noch in Moide, Ortsteil Brümmerhof steht.
(Anm. 137) Brief Webers an Alf Depser vom 12.4.1932: „Ich war auch in den ganzen letzten Monaten unterwegs - immer auf der Suche nach einer neuen Wohnung - einer Bauernhütte ...“
(Anm. 138) Stählin, S.1.
(Anm. 139) Ebd., S.4.
(Anm. 140) Die Ställe wurden 1988 auf den Ollershof nach Munster (Kreis Soltau-Fallingborstel) versetzt.
(Anm. 141) Inv. 5857-5872, G 5531-5669.
(Anm. 142) Vgl. Hermann Hipp: Das Haus der Studentenhilfe, Neue Rabenstraße in Hamburg-Rotherbaum. In: Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Bd.1. 1991, S.316-321.
(Anm. 143) Vgl. Schumacher Illustriertes Werk, III, 01-19.
(Anm. 144) Vgl. Jan Zimmermann: Die Kulturpreise der Stiftung F.V.S. 1935-1945. Darstellung und Dokumentation. Hamburg 2000.
(Anm. 145) Der Satzung war zwar ein Zitat des Freiherrn vom Stein vorangestellt, man wollte sich aber nicht zwischen diesem als Vertreter des Gemeinschaftsdenkens und Friedrich von Schiller als Vertreter der individuellen Freiheit als Namenspatron entscheiden, so daß es bei der Abkürzung F.V.S. blieb und Weber als Signet statt eines Porträtkopfes die neutrale Darstellung eines Brunnens entwarf. Die Institution wurde zur größten privaten Stiftung Deutschlands. Von den Stiftungen J.W.G. und F.V.S. wurden bis 1982 940 Preise und 1380 Stipendien vergeben. Toepfer wandte für die Tätigkeit seiner Stiftungen bis 1982 fast 200 Millionen Mark auf, davon ca. 35 Millionen vor 1944.
(Anm. 146) Stählin, S.5.
(Anm. 147) Stählin, S.7.
(Anm. 148) Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Begegnungen und Begebnisse. Köln 1958, S.142 f.
(Anm. 149) Vgl. Schumacher Exlibris, Nr.147-149.
(Anm. 150) Schumacher Exlibris, Nr.149 und 150.
(Anm. 151) Schumacher Gebrauchsgraphik, Nr.350.
(Anm. 152) Gespräch Alfred Toepfers mit Helmut Schumacher, 12.7.1983.
(Anm. 153) Heute im Privatbesitz der Familie Toepfer.
(Anm. 154) Schumacher Gebrauchsgraphik, Nr.343-354.
(Anm. 155) Peter Rühmkorf : Der Zeichner A. Paul Weber. 1980, S.39 (unveröffentlichtes Manuskript), (Archiv des A. Paul Weber-Museums, Ratzeburg).
(Anm. 156) Stählin, S.11.
(Anm. 157) Deutscher Volkskalender Nordschleswig. 1937, S.114 f.
(Anm. 158) Hugo Fischer (Halle a.d. Saale 1897 - 1975 Ohlstadt). Um 1924 Bekanntschaft mit Ernst Jünger während dessen Leipziger Studienzeit. 1925 Privatdozent am Philosophischen Institut Hans Drieschs in Leipzig. Aus nationalbolschewistischer Überzeugung frühe Verbindung zum „Widerstandskreis“. Gemeinsame Reisen mit Ernst Jünger, der ihn für den „bedeutendsten lebenden philosophischen Kopf“ hielt: 1929 nach Sizilien und 1935 nach Norwegen. Vorbild des Nigromontan in Jüngers „Das abenteuerliche Herz“ (1929). Ernst Niekisch hielt Fischer, vermutlich weit realistischer, für einen „höchst eigentümlichen Geist“ und eine „wunderliche Mischung von Mystizismus und Rationalität“. Um 1935 Ölporträt Fischers von Weber. Von Norwegen aus emigrierte Fischer nach England und lebte später u.a. in Ägypten. 1957 Professur in München. Zahlreiche Publikationen, u. a.: „Erlebnis und Metaphysik“ (1928), „Karl Marx und sein Verhältnis zu Staat und Wirtschaft“ (1932). Sein wichtigstes Werk, auch in Bezug auf den „Widerstandskreis“, existiert nur in wenigen Korrekturexemplaren: „Lenin, der Machiavell des Ostens“. Das Buch wurde von der Hanseatischen Verlagsanstalt in Hamburg für den Sommer 1933 angekündigt, durfte aber aus politischen Gründen nicht mehr erscheinen. In der späteren Neufassung („Wer soll der Herr der Erde sein? Eine politische Philosophie“ Stuttgart 1962) fehlten alle nationalbolschwistischen Elemente von 1932/33. Weber besuchte das Ehepaar Fischer noch in den 60er Jahren. Der herzliche Kontakt zur Familie hielt über den Tod des Philosophen hinaus an.
(Anm. 159) Hugo Fischer, S.11.
(Anm. 160) Ebd., S.3.
(Anm. 161) Ebd., S.24.
(Anm. 162) Vgl. ebd., S.13.
(Anm. 163) Ebd., S.34.
(Anm. 164) Vgl. Ramseger, S.13.
(Anm. 165) Hugo Fischer, S.15 f.
(Anm. 166) Ebd., S.25-27.
(Anm. 167) Ebd., S.13.
(Anm. 168) Ebd., S.21.
(Anm. 169) Schumacher Gebrauchsgraphik, Nr.355.
(Anm. 170) Bundesarchiv Koblenz, Akte Ernst Niekisch, Schreiben der Preußischen Geheimen Staatspolizei vom 13.3.1940.
(Anm. 171) Bundesarchiv Koblenz, Az. III Z - 01629 - Schne.
(Anm. 172) Vgl. Peter Rühmkorf: Tabu I. Tagebücher 1989-1991. Reinbek 1995, S.395-397.
(Anm. 173) Herbstausstellung 1941. Katalog Nr. 234-237: Die Donau hinter Passau, Die Schachspieler, Bildnis Friedrich Georg Jüngers, Christian Weber (alle bereits 1936 in der Monographie von Hugo Fischer abgebildet). In der Frühjahrsausstellung des Vorjahres war Weber allerdings mit acht Graphiken vertreten, in der Herbstausstellung 1940 mit den Ölgemälden „Der Flieger“ (Theo Schneider) und dem Bildnis von Ernst Jünger.
(Anm. 174) Giuseppe Prezzolini: Das Leben Nicolo Machiavellis. Dresden 1929.
(Anm. 175) Johannes Schmidt-Wodder (1869 - 1959). 1896-1920 Pastor in Wodder (Nordschleswig). 1920-39 Abgeordneter der deutschen Minderheit im dänischen Parlament. Mitbegründer der Zeitschrift „Nation und Staat“. Kontakt zu den deutschen Volkstumsorganisationen wie dem Deutschen Schutzbund und dem VDA (Volksbund für das Deutschtum im Ausland). Enge Beziehung zu Hans Schmidt-Gorsblock und dem Deutschen Volkskalender Nordschleswig. Seit 1932 Mitglied des Stiftungsrates der Stiftung F.V.S. von Alfred Toepfer. Mit dem Aufkommen der nationalsozialistischen Parteien in Nordschleswig verlor Schmidt-Wodder in den 30er Jahren an politischem Einfluß.
(Anm. 176) Brief von Schmidt-Wodder an Weber, 14.10.1936.
(Anm. 177) Vgl. Bärbel Manitz: Nebel über Weber. In: KuNSt ohne Museum. Heide 1993, S.112-139.
(Anm. 178) Ernst Jünger: Ausgehend vom Brümmerhof. Alfred Toepfer zum 80.Geburtstag. Essays VIII. Stuttgart 1978, S. 102 f.
(Anm. 179) Der Vormarsch. 1928. H.11, S.275 ff.
(Anm. 180) Schumacher Exlibris, Nr.138 und 139.
(Anm. 181) Schumacher Illustriertes Werk, IV,07 und Hugo Fischer, Taf.6.
(Anm. 182) Emil Stramke (Studzianki/Ukraine 1890 - 1970 Überlingen). Der Sohn eines Schlesiers und einer polnischen „Volksheilerin“ sprach perfekt Polnisch und Russisch. Frühe wissenschaftliche „Expeditionen“ nach Sibirien und Indien. 1912 erstmals in Deutschland. Dolmetscher im 1.Weltkrieg. 1919-24 Charité Berlin. Niederlassung als Heilpraktiker in Berlin, später auch in Hamburg. Bekanntschaft mit Weber während dessen Zeit im Johannesstift/Spandau. Kauf eines Hofes in Hagenow/Mecklenburg. 1934 Heirat mit Erna Sophia Axien, eine Tochter. Um 1940 wurde Stramke (kein Parteimitglied) im Zuge einer zweijährigen Haftstrafe die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, wodurch auch die Familie staatenlos wurde („Sippenhaft“). 1941 vorzeitige Entlassung, erneut eingezogen. 1945 Flucht nach Groß-Schretstaken, wo er etwa ein halbes Jahr arbeitete. Keine Zulassung als Heilpraktiker auf Grund seiner Staatenlosigkeit. Privat vor allem für den Hamburger Kaffeefabrikanten Arthur Darboven tätig. 1951-53 Prozeß nach dem Tod eines 18jährigen Blankeneser Patienten (TBC), in dem es letztlich um die Wissenschaftlichkeit von Stramkes Augendiagtnostik ging. Freispruch. 1954 deutsche Staatsbürgerschaft. 1957-61 Timmendorfer Strand, ab 1962 Überlingen. Zu Stramkes Patienten zählten neben Weber zahlreiche Künstler, u. a. Werner Krauss, Maria von Ilosvay, Wolfgang Borchert, Robert Meyn, Hermann Prey.
(Anm. 183) Schumacher Gebrauchsgraphik, Nr.314-316, 319, 319a; Bock/Dorsch Medizin, Nr.18 und 19.
(Anm. 184) Vgl. zur gesamten Ausstattung: Bock/Dorsch Medizin, S.69-71. - Das Homöopathische Kabinett befindet sich heute im A. Paul Weber-Museum Ratzeburg. Vier der Schranktüren blieben unbemalt, weil sie hinter einem Schrank verborgen waren. Nach späterer Umstellung wollte Weber in den 50er Jahren die Türen angleichen, dazu kam es aber nicht.